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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
Autoren: Frank W. Haubold
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Zinnen leuchten im Glanz der untergehenden Sonne.
    Die Männer sehen es und glauben ihren Augen nicht zu trauen.
    Es gibt kein Flugfeld, nicht einmal eine betonierte Straße. Sie müssen auf einer Wiese landen, misstrauisch beäugt von einer Herde brauner Rinder, die gegenüber grast. Der Hirt, ein kleiner Junge, starrt mit offenem Mund zu ihnen herüber. Seine Augen sind groß und rund vor Staunen. Als sie näher kommen, läuft er davon.
    Sie schauen ihm nach und müssen lächeln. So lange ist es nicht her, dass sie selbst Kinder waren.
    Christoph bückt sich und reißt ein paar Grashalme heraus. Sie duften nach Sommer wie die Luft, die warm und müde über den Feldern liegt. Wann haben sie zuletzt solche Luft geatmet?
    Ein Kunstwerk, denkt Christoph, als sie den gepflasterten Weg zum Schloss ersteigen. Es ist wahr. Nichts, was den Zauber des Ortes stört. Die Landschaft ringsum wie von Meisterhand gemalt. Kein Gedanke an Gefahr.
    Am Schloss. Groß ist das Tor und einladend geöffnet.
    Der Innenhof ist voller Leben. Hundegebell, Türenklappern, eiliges Hin und Her. Irgendwo wird Fleisch gebraten. Der Rauch steigt senkrecht nach oben, aber der Geruch ist überall.
    Ein Fest?
    Ihre Ankunft ist nicht unbemerkt geblieben. Überall neugierige Gesichter, aber niemand richtet das Wort an sie, fragt nach ihrem Woher und Wohin. Die Wachtposten vor dem Eingang salutieren. Ihre Uniformjacken leuchten mohnblumenrot.
    Drinnen brennen Fackeln, führen sie die Treppe hinauf zum Saal.
    Die Tür schwingt auf, und sie stehen wie geblendet. Kerzen. Hunderte. Ihr Licht spiegelt sich in den Fenstern, glänzt auf silbernem Zierrat und dem Schmuck der Frauen.
    Ein zartes Klingen, und das Gemurmel im Saal erstirbt. Ein Mann in goldbetresster Uniform erhebt sich und heißt die Fremden willkommen. Lange sei man unterwegs gewesen, so lange, dass sich nur die Ältesten an die letzten Besucher erinnern könnten. Jetzt, endlich, habe das Warten ein Ende.
    Doch es sind nicht die freundlichen Worte, die die Männer verlegen machen. Alle Blicke ruhen jetzt auf ihnen, den Fremden. Und es ist nicht nur Neugier, die Christoph darin lesen kann. Er kann spüren, wie seine Wangen sich röten.
    Dann, endlich, bietet man ihnen Platz. Zögernd kommt ein Gespräch in Gang, doch Christoph ist zu beschäftigt, um zuzuhören. Nur einen Moment lang hat er der Frau gegenüber in die Augen gesehen. Genevra, wie die anderen sie nennen. Er wird ihren Blick nie wieder suchen, schwört er sich, und weiß doch schon, dass er ihn brechen wird, seinen Schwur.
    Dann wird das Mahl serviert, und allmählich löst sich die Spannung. Gläser klingen, Trinksprüche werden ausgebracht. Lachen klingt auf, glockenhell, schwingt sich empor wie ein Schmetterling, steckt an. Der Wein löst die Zungen, es wird lauter. Scherze machen die Runde, ernten Gelächter und vielsagende Blicke. Bald schwindet die Befangenheit der Fremden, die sich nun endlich als Gäste fühlen dürfen. Ihre Sinne sind weit geöffnet. Sehen, hören, riechen, schmecken. Alles ist aufregend und doch seltsam vertraut.
    Selbst Christoph, der minutenlang nur auf seinen Teller gestarrt hat, lebt ein wenig auf. Nein, natürlich wird er nicht zu ihr hinüberschauen. Und wenn doch, dann nur für einen winzigen Augenblick. Sie bemerkt nichts davon. Oder doch? Ein Lächeln spielt um ihre Lippen, flüchtig nur, aber gewiss nicht zufällig. Sie weiß es, denkt er.
    Der Wein lindert das Brennen in der Kehle. Christoph hebt das Glas und lässt sich nachschenken. Er ist rot und samtweich, der Wein. Wie ihre Lippen, denkt er. Vergessen sein Schwur, vergessen Magdalena und jedes Mädchen, das er einst begehrte. Sie sind wie Schatten, unendlich fern. Vergessen der Feind draußen, vergessen sogar der Tod … nein, der nicht. Sie weiß es, denkt er noch einmal und trinkt gierig, als könne der Wein das Feuer löschen. Das Feuer, das allein ihr gehört.
    Dann der Tanz.
    Fast scheint es, als hätten sie alle nur darauf gewartet. Kaum, dass die ersten Takte erklingen, füllt sich der Saal mit tanzenden Paaren. Schwarz die Anzüge der Tänzer, schneeweiß die Ballkleider der Frauen. Der Kontrast schmerzt in den Augen. Auch Genevra tanzt. Leichtfüßig, schwerelos beinahe gleitet sie über die Tanzfläche, schwingt sich in die Arme ihres Partners – den Christoph dafür hasst –, entwindet sich ihm wieder, dreht eine Pirouette und nimmt den Rhythmus der Musik wieder auf.
    Christoph kann nicht tanzen. Wann hätte er es lernen sollen
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