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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
Autoren: Frank W. Haubold
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natürlich. Immerhin war ich einige Jahre lang Sporks Stellvertreter. Am Tag vor seinem Verschwinden bin ich ihm das letzte Mal begegnet.«
    »Hat er mit Ihnen über die Burgons gesprochen?«
    »Man konnte mit Balinas keine Gespräche führen, wie wir sie gewohnt sind. Ein Treffen mit ihm war wie der Gang zu einem Orakel. Und schon die klassischen Orakel waren berühmt dafür, ihre Antworten in Rätsel zu kleiden. Balinas liebte Rätsel über alles.«
    »Also keine Informationen zu den Burgons?« Ihre Enttäuschung war trotz des betont sachlichen Tonfalls unüberhörbar.
    »Doch, aber stets mit dem Vorbehalt der eigenen, möglicherweise fehlerhaften Interpretation. Trotzdem bin ich zum Beispiel überzeugt, dass Balinas die Burgons nicht als eine eigene Spezies im Sinne einer evolutionären Entwicklung ansah.«
    »Also keine Drachen …«
    »Balinas sprach von ›elternlosen Streitrössern‹ …«
    Farr hörte, wie die Frau die Luft ausstieß.
    Als sie antwortete, klang ihre Stimme heiser: »Also biologische Raumschiffe, in Klontanks gezeugt.«
    »In jedem Fall Wesenheiten, die ausschließlich dem Willen ihrer Schöpfer folgen.«
    »Aber wer …?«
    »Ich bitte Sie, Captain. Sie haben doch Militärgeschichte studiert. So viel bleibt doch gar nicht übrig, wenn wirtschaftliche, machtpolitische und religiöse Motive ausscheiden. Immerhin wissen wir, dass keine der zerstörten Städte vorher besetzt oder geplündert wurde.«
    »Hass?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    »Oder Rache, die klassischen Motive. ›Der verstoßene Sohn mit dem Haupt der Medusa‹, wie es Adjutant Balinas auszudrücken beliebte. Er hatte eine Schwäche für die griechische Mythologie.«
    »Und das bedeutet?«
    »Wenn wir das Unmögliche ausschließen – also die außerirdischen Fabelwesen –, dann bleibt im Grunde nur eine Gruppierung übrig, die für diesen Vernichtungsfeldzug infrage kommt.«
    »Die Goleaner? Sie glauben tatsächlich, dass Menschen dafür verantwortlich sind?«
    »Menschen haben schon Schlimmeres getan, ohne von ihresgleichen verfolgt und ausgestoßen worden zu sein. Nach dem Golea-Ultimatum blieb ihnen wohl gar nichts anderes übrig, als in die Diaspora zu gehen. Aber auch das ist heute nur noch von akademischem Interesse. Entscheidend ist eine andere Frage …«
    »Und welche?«
    »Was werden sie als Nächstes tun – und wann.«
    »Sie meinen …« Die Frau brach ab, als sie begriffen hatte. Sie wusste jetzt, worauf der Colonel wartete – seit mehr als zwei Jahrzehnten, jeden Tag, jede Stunde. Er wartete auf etwas, von dem er überzeugt war, dass es unvermeidlich war: die Rückkehr der Burgons.
    Er würde nicht weggehen von hier, ebenso wenig, wie sie diesen Ort verlassen würde. Nicht, bevor sie getan hatte, was getan werden musste.
    Sie waren einander ähnlich. Das Gefühl der Verbundenheit, das sie in seiner Nähe empfand, hatte sie nicht getrogen.
    »Danke, dass Sie es mir gesagt haben, Colonel Farr«, sagte sie leise. »Ich fürchte, Sie haben recht.«
    »Sie wissen doch, dass ich nicht gern verliere.« Der Dampf stand noch immer so dicht in der Kabine, dass sie Farrs Gesicht kaum erkennen konnte, aber sie wusste, dass er lächelte.
    »Schon gar nicht gegen eine Frau, nicht wahr?«
    »Das kommt ganz auf das Spiel an.«
    Sie spielten sich die Sätze zu wie Ping-Pong-Bälle, obwohl der Ausgang längst feststand.
    »Ist es denn eins?«
    »Nein …«
    Es war noch immer der gleiche Ort, aber der weiße Dampf verbarg sie nun nicht mehr voreinander, sondern hüllte sie ein wie ein schützender Kokon – eine winzige Insel der Wärme und Vertrautheit auf einer verlorenen Menschensiedlung am Ende der Welt.
      
    »Wieso glaubst du, dass sie überhaupt wiederkommen?«, fragte sie später in ihrem Apartment. Miriam hatte sich umgezogen und Tee gekocht, dessen Duft den kleinen Raum mit einem fremdartigen Aroma füllte.
    Ihre Wandlungsfähigkeit setzte Farr in Erstaunen. Allein in den letzten Stunden hatte sie von der disziplinierten Technik-Offizierin über die ehrgeizige Sportlerin und die verletzliche Geliebte bis hin zur offenherzigen Gastgeberin fast jede erdenkliche Rolle ausgefüllt, ohne dass Farr auch nur einen Augenblick lang geglaubt hatte, sie spiele ihm etwas vor.
    Konnte es sein, dass sie das Ganze geplant hatte?
    Raymond Farr verwarf den Gedanken augenblicklich. Eine so komplexe Kette von Ereignissen und Emotionen war nicht im Voraus zu planen. Dennoch hatte Miriams Interesse an den Burgons etwas an
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