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Goethe war’s nicht

Goethe war’s nicht

Titel: Goethe war’s nicht
Autoren: Frank Demant
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die Ouvertüre. „Ja, äh, nein. Pst. Pass mal auf, was jetzt passiert.“
    Fragend schaute ihn Maria an.
    Er nickte kurz mit dem Kopf in Richtung des alten Mannes. Dann flüsterte er: „Ich glaube, das ist Opa Becker.“
    „Welcher Opa Becker? Ich kenne keinen Opa Becker.“
    „Doch, kennst du, hab ich dir erzählt, ist schon ein Weilchen her. Guck nicht so rüber. Tu so, als unterhielten wir uns.“
    Es ist gar nicht so einfach, so zu tun, als tue man irgendwas, was man gerade eigentlich gar nicht tat. Herr Schweitzer hatte seine Maria natürlich neugierig werden lassen. Und während sie ohne Sinn und Verstand übers Wetter palaverten, schielten sie alle paar Sekunden zu dem wunderlichen Herrn. Maria, um zu sehen, was passierte. Herr Schweitzer, um zu sehen, ob es passierte.
    Nach zehn Minuten hatte Opa Becker sein Glas fast bis zur Neige leer.
    Mit Genugtuung registrierte der Sachsenhäuser Gelegenheitsdetektiv, wie der ältere Herr nach seinem Handy griff, ein paar Zahlen tippte und die Worte sprach: „Vor dem Dautel in Sachsenhausen liegt eine hilflose Person.“
    „Jetzt geht’s los“, hauchte Herr Schweitzer. „Wenn ich los sage, gehen wir raus, eine Zigarette rauchen.“
    „Hast du welche?“
    „Ups, nein. Ich gehe mal schnell zum Automaten. Wir sehen uns dann vor der Kneipe.“
    „Soll ich schon rausgehen?“
    „Ja, geh schon mal vor. Ich komme gleich nach.“
    Regenwasser gurgelte im Rinnstein. Nieselregen verlieh den gelben Straßenlaternen einen pittoresken Glanz. Maria und Herr Schweitzer spielten Zigaretten rauchen. Keiner inhalierte das Nikotin. Er mochte nur selbstgebaute Kippen mit gewissen Zutaten und seine Freundin war überzeugte Nichtraucherin. Sie standen ein paar Meter vom Eingang entfernt unter einem Baum, der sie nicht wirklich vor dem Regen schützte.
    Ihre Zigaretten glommen in den letzten Zügen, als es geschah.
    „Pst. Da kommt er“, flüsterte Herr Schweitzer.
    Maria konnte ihn kaum verstehen, doch seine Geste war eindeutig. Sie drehte sich halb um, damit sie die bevorstehenden Ereignisse aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte.
    Opa Becker hatte die Schwingtür hinter sich zufallen lassen, stand aber mit einem Bein noch im Flur. Mit zurechtgerückter Brille scannte er die Umgebung. Von Zeit zu Zeit nahm er sie ab und trocknete sie an seinem blauen Wollschal.
    Dann kam plötzlich, aber gemächlich ein Rettungswagen um die Ecke gebogen. So schnell, wie es sich bei älteren Herren in der Regel nicht vermuten ließ, legte sich Opa Becker auf den nassen, mit Laub übersäten gepflasterten Bürgersteig.
    Als der Wagen vor dem Ebbelwei-Lokal hielt und zwei Sanitäter in orangenen Westen ausstiegen, näherten sich Maria und Herr Schweitzer wieder dem Eingang.
    Der jüngere der beiden Sanitäter hatte sich bereits zu dem am Boden Liegenden gebeugt, als sein Kollege hinzukam. „Ah, unser Opa Becker. Solle mer Sie widder ma nach Hause fahrn?“
    Opa Becker: „Ouuuh, aua, ouuuh.“
    Älterer Kollege: „Aber Herr Becker, Ihne tut doch nichts weh. Sie müsse uffpasse, wenn Sie sich bei dem Wetter so uff ’n Boden schmeiße. So ne Erkältung is schnell eigefahrn. Und dann sin Sie werklich krank.“
    „Ouuuh, aua, ouuuh.“ Doch bei all dem Gestöhne hatte Opa Becker noch Zeit und Muse, Maria und Herrn Schweitzer ein listiges Augenzwinkern zu schenken.
    Sanitäter: „Ei, is ja schon gut, mer fahrn Sie ja heim. Auf geht’s.“
    Opa Becker wurde unter den Armen gepackt und auf die Füße gestellt. „Ouuuh, aua, ouuuh. Solche Schmerzen ...“
    „Aber, Herr Becker“, sprach der Jüngere mit psalmodierender Stimme, „wir sind doch vorsichtig. Wo genau tut’s denn weh?“
    „Och, ouuuh, aua, überall.“
    Maria stupste ihren Liebsten an: „Erinnert mich irgendwie an dich, wenn du leicht erhöhte Temperatur und keine Lust auf Hausarbeit hast.“
    „Pah“, antwortete Herr Schweitzer, „wenn ich stöhne, falls ich überhaupt schon mal gestöhnt habe, dann nur, wenn ich todkrank bin.“
    „Ja, mein kleiner Held. Dann bist du in den neun Jahren, in denen wir jetzt zusammen sind, dem Tod schon öfter von der Schippe gesprungen als der draufgängerischste Frontsoldat, der den Zweiten Weltkrieg überlebte.“
    „Bin halt ein harter Brocken.“
    Marias Blick drückte reinste Skepsis aus: „Ja, kann ich bestätigen. Aber nur, wenn’s darum geht, sich vor dem Abwasch zu drücken.“
    Opa Becker schien in Höchstform zu sein: „Aua, aua. Mein Magen ...“
    Der Chef-Sanitäter: „Sie
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