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Goethe war’s nicht

Goethe war’s nicht

Titel: Goethe war’s nicht
Autoren: Frank Demant
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sich vor, sich irgendwie aus diesem Schlamassel zu befreien. Er schob sich eine Gabel Kartoffelsalat in den Mund. Dieser schmeckte zwar nach überhaupt nichts – ebenso gut hätte es ein weichgekochtes Stück Treibholz sein können –, doch immerhin milderte es die Reizung in seinem Munde insoweit, als dass wieder eine halbwegs normale Atmung durch selbigen und Nase möglich war. Als Herr Schweitzer merkte, wie gut ihm das tat, schickte er den nächsten Happen Kartoffelsalat hinterher. Dann schoss seine Hand zur zum Glück großflächigen Stoffserviette, mit der er sich wie nach einer Dusche die Flüssigkeit vom Gesicht wischte.
    Da sein Missgeschick ohnehin von allen bemerkt worden war, wie er richtig vermutete, wisperte Herr Schweitzer leichthin und mit einer Prise Humor: „Puh, da hab ich die Chilis wohl unterschätzt.“ Und sich an den Gastgeber wendend: „Wie heißt die Sorte?“
    „Habanero. Kommen ursprünglich aus Yucatán, Mexiko.“
    „Muss ich mir merken.“ Herr Schweitzer ließ aber offen, ob er künftig damit seine Kochkünste bereichern oder sie einfach nur meiden wollte. Doch insgeheim hoffte er, nach dieser Erfahrung nicht als feuerspeiender Drache wiedergeboren zu werden, denn dies hatte er gerade hinter sich gebracht.
    Nach diesem kurzen, aber heftigen Intermezzo verlief das restliche Mahl in gewohnten Bahnen, wenn man mal davon absah, dass mit Glögg, ein skandinavischer Glühwein mit Wodka, der zum Dessert gereicht wurde, ein recht schmackhaftes Getränk fürderhin Herrn Schweitzers Liste der Lieblingsgetränke bereichern sollte.
    Als der Tisch abgeräumt war und die wortkarge Fabiana in der Küche den Abwasch besorgte, besprachen Maria und Kuno Fornet zuerst die Details der geplanten Veranstaltung im Foyer der Teutonischen Staatsbank, bevor sie sich aktuellen Ausstellungen von Künstlern wie Hanne Darboven, Thomas Ruff, Wolf Vostell und einigen anderen widmeten, die für Herrn Schweitzer dermaßen unbekannt waren, dass es genauso gut die Läuferliste für den Frankfurt-Marathon hätte sein können. Oder von Interpol gesuchte Schwerverbrecher.
    Zur Langeweile kam dann noch ein Schwächeanfall seinerseits, d. h., die Schwäche bestand darin, sich wach zu halten. Gewöhnlich war er ohne seinen Mittagsschlaf eine tickende Zeitbombe, doch heute fühlte er sich einfach nur schlapp. Mürrisch blätterte er in einer Börsenzeitschrift, die er von einem Stapel genommen hatte, und zählte die Minuten bis zum Aufbruch.
    Doch vorher musste er noch pinkeln und ließ sich von Herrn Fornet den Weg zur Toilette erklären. Was gar nicht so einfach war. „Oh, unser Badezimmer wird gerade renoviert. Die Firma wartet noch auf Kacheln aus Italien. Da hat es einen Lieferengpass gegeben. Aber wir haben noch ein Bad im Keller. Einfach geradeaus, dann den Gang nach links, die vorletzte Tür. Entschuldigen Sie bitte diese Unannehmlichkeiten.“
    Was denn für Unannehmlichkeiten, dachte Herr Schweitzer, ich will doch nur pinkeln und mich nicht an von Picasso bemalten Kacheln ergötzen. Trotz der im Prinzip exakten Wegbeschreibung öffnete er zuerst die Besenkammer, dann einen kleinen Abstellraum, in dem allerlei Krimskrams herumstand, bevor er am Ziel war.
    Kurz nach drei war es dann endlich so weit. Höflich und mit steifer Würde verabschiedete man sich voneinander und Herr Schweitzer wünschte sich trotz gegenteiliger Beteuerungen – „Nett, Sie kennengelernt zu haben“ und „Auf Wiedersehen“ –, diesem stinklangweiligen Banker nie mehr zu begegnen.
    Doch es sollte anders kommen. Sehr bald sogar.
    Maria und er hatten beschlossen, den Weg rüber zum Lerchesberg zu Fuß zurückzulegen. Fornets Angebot, ein Taxi zu bestellen, lehnten sie ab. Es war zwar kalt, regnete aber nicht.
    Sie waren bereits ein paar Meter gelaufen, als ihnen ein junger Bursche entgegenkam, der so gar nicht in diese gutbürgerliche Gegend passte. Rastalocken lugten unter einer in Reggae-Farben gestrickten Wollmütze hervor und die restliche Erscheinung changierte zwischen Obdachlosigkeit und drogendurchtränktem Ibiza-Hippie der frühen Jahre. Dass es sich bei dieser Person um Gilberto, kurz Gil genannt, einen der beiden Söhne der Fornet-Familie handelte, wäre Herrn Schweitzer nie im Leben in den Sinn gekommen. Doch in Bälde schon sollte er sich mit dieser Konstellation mehr beschäftigen, als ihm lieb war.
    „Na, war doch gar nicht so schlimm“, sagte Maria, als sie in deren Bungalow angekommen waren.
    „Ja, war okay“,
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