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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Autoren: Rüdiger Safranski
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jetzt auch von außen. Er hatte einst, so kam es ihm vor, auch im
größten Gewühle an keinen Beobachter zu denken
gehabt, nun aber quälte ihn ein
hypochondrischer Dünkel
, als wären alle
Blicke auf
mein Wesen gerichtet, es festzuhalten, zu untersuchen und zu tadeln
.
    In diesen Zusammenhang des Verlustes von Unmittelbarkeit und der bedrängenden Erfahrung von Fremd- und Selbstbeobachtung, gehört auch ein charakteristisches Vorkommnis, das in »Dichtung und Wahrheit« nicht berichtet wird, wovon sich aber briefliche Zeugnisse erhalten haben.
    Da schrieb der noch nicht Fünfzehnjährige an den Vorsitzenden eines Tugendbundes, zu dem sich einige junge, vornehme Leute in der Art einer Geheimgesellschaft verbunden hatten. Er bat um Aufnahme. Dieses Schreiben an den siebzehnjährigen Ludwig Ysenburg von Buri ist überhaupt der erste erhaltene Brief Goethes. Er bekennt sich darin zu seinen Fehlern. Er weiß: Selbstprüfung gehört zum Ritual. Drei Fehler nennt er. Als erstes sein
cholerisches Temperament
, er sei aufbrausend doch nicht nachtragend; zweitens befiehlt er gerne,
aber wo ich nichts zu sagen habe, da kann ich es auch bleiben lassen
. Drittens seine Unbescheidenheit; er rede auch mit unbekannten Leuten so als kennte er sie schon
Hundert Jahre
.
    Die Bewerbung bleibt erfolglos. Man will diesen jungen Herrn nicht, der sich so selbstbewußt aufdrängt. Es haben sich einige Briefe erhalten, die zwischen den Mitgliedern des Bundes gewechselt wurden. »Attachieren Sie sich nicht an ihn um Gottes willen«, schreibt der eine. Ein anderer: »Ich erfuhr, daß er der Ausschweifung und vielen andern mir unangenehmen Fehlern, die ich aber nicht herzählen mag, sehr ergeben sei«. Wieder ein anderer bemerkt: »im übrigen hat er mehr ein gutes Plapperwerk als Gründlichkeit.«
    Der fünfzehnjährige Goethe hatte den Anschluß an den Tugendbund gesucht, weil es ihn zu den Älteren, vermeintlich Reiferen hinzog. Den Gleichaltrigen fühlte er sich überlegen und sie wurden ihm bald langweilig. Da gab es einige Freunde: Ludwig Moors, Sohn des Schöffen und Bürgermeisters; Adam Horn, Sohn eines kleinen Beamten bei der Stadtkanzlei und Johann Jakob Riese, auch aus guter Familie. Diese drei schlossen sich zusammen zu gemeinsamen Ausflügen in die Umgebung und bildeten einen Kreis, in dem vorgelesen und disputiert wurde. Goethe war der unbestrittene Anführer. »Wir waren auch immer die Lakaien«, erinnert sich Moors später, und Horn, der dem Freund nach Leipzig folgte, berichtet von dort in einem Brief an Moors, daß man Goethe immer noch nicht beikommen könnte: »er mag eine Partei nehmen, welche er will, so gewinnt er, denn Du weißt, was er auch nur scheinbaren Gründen für ein Gewicht geben kann.«
    Man merkt, der junge Goethe erweckte Bewunderung, erregte aber auch Mißgunst. Man kann sich auch ganz gut vorstellen, daß ein Junge nicht überall beliebt war, dem die Mutter jeden Morgen drei Garnituren von Kleidungsstücken bereitlegen mußte, eine fürs Haus, eine für den gewöhnlichen Ausgang und die Besuche und einen für den Galaauftritt, also Haarbeutel, Seidenstrümpfe und zierlicher Degen.
    Im Freundeskreis war der junge Goethe stets der Mittelpunkt und von ihm gingen die meisten Ideen zu Spielen und Unternehmungen aus. Nur das ›Mariage-Spiel‹ war wohl nicht seine Idee. Um zu vermeiden, daß die spontan entstehenden Paarbildungen sich allzu früh festigten, wurden wechselnde Paare für befristete Zeit zusammengelost, eine Einübung in eine Zusammengehörigkeit also, mit der es nicht ganz ernst gemeint war. Das kam Goethes neugierig verspieltem Geist entgegen. So konnte er nach der unerfreulichen Gretchen-Geschichte noch eine Weile tändeln und üben und den Ernstfall in Liebesdingen, und nicht nur dort, hinausschieben, was er auch nannte: den
gemeinen Gegenständen eine poetische Seite abzugewinnen
.
    Anmerkungen

Zweites Kapitel
    Leipzig. Auf großem Fuß. Die großen Männer von gestern.
    Die Geschichte mit Kätchen. Vorübungen für einen Briefroman.
    Behrisch. Therapie gegen die Eifersucht: »Die Laune des Verliebten«.
    Praktische Kunstübungen. Dresden. Im Bilde verschwinden.
    Zusammenbruch.
    Nach der blamablen Gretchen-Geschichte und der Zurückweisung durch den Tugendbund wuchs die Abneigung des sechzehnjährigen Goethe gegen das heimische Frankfurt. Er empfand, anders als früher, wenig Vergnügen bei den
Wanderungen durch die Straßen
, die alten Mauern und Türme waren ihm verleidet, die Leute
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