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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist
Autoren: Lindsey Davis
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eindeutige Vorteile: Obwohl es sich technisch gesehen nicht um eine römische Provinz handelte, unterhielten wir Handelsposten entlang der gesamten Küste. Balbinus würde also unter Beobachtung stehen – was er ganz genau wußte. Ein schrecklicher Ort für ein Exil. Wenn ihn die Braunbären nicht verspeisten, würde er vor Kälte oder Langeweile sterben, und das Geld, das er mit rausschmuggeln konnte, würde ihm nichts nützen, denn dort gab es keinen Luxus, für den er es hätte ausgeben können.
    »Für dich wird das auch kein Zuckerschlecken«, sagte ich zu Linus. »Vor den Saturnalien bist du keinesfalls zurück.«
    Das nahm er ruhig hin. »Jemand muß dafür sorgen, daß Balbinus nicht schon in Tarentum vom Schiff verschwindet.« Richtig. Oder in Antium, oder Puteoli, oder Paestum, Buxentum oder Rhegium, oder in Sizilien oder einem der vielen Küstenorte in Griechenland, auf den Inseln und in Kleinasien, die alle den Weg unseres Verbrechers ins Exil säumten. Die meisten dieser Städte verband nur eine verschwommene Loyalität mit Rom. Manche wurden von römischen Beamten verwaltet, die nur einen ruhigen Posten gesucht hatten. Viele waren selbst für Beamte, die sich gerne wichtig machten, zu abgelegen. Petronius Longus machte sich zu Recht Sorgen um die Durchführung der Strafe. Doch Linus schien seine Verantwortung mit Gelassenheit zu tragen. »Das ist meine große Chance, was von der Welt zu sehen. Mir macht es nichts aus, in einer einigermaßen annehmbaren Stadt in Bithynien oder an der thrakischen Küste zu überwintern.« Petros Spitzel hatte also bereits einen Blick auf die Karte geworfen.
    »Wird deine Unterkunft bezahlt, Linus?«
    »Solange es sich im Rahmen hält«, warf Petronius streng ein, damit auch ja nicht der Eindruck entstand, Linus würde auf Staatskosten eine Vergnügungsreise unternehmen.
    »Hauptsache, ich krieg ein bißchen Ruhe!« sagte Linus. Offenbar war da eine Frau im Spiel.
    Tja, wir standen wohl alle etwas unter dem Pantoffel. Wobei die meisten von uns allerdings darauf verzichtet hätten, vier oder fünf Monate zur schlimmsten Zeit des Jahres jenseits des Hellespont zu verbringen, nur um dem heimischen Gezeter und Genörgel zu entgehen. Linus beherrschte offenbar noch nicht die Kunst, für halbe Tage in den Thermen zu verschwinden (vorzugsweise solchen, von denen nicht bekannt ist, daß man sie frequentiert).
    Martinus erschien am Eingang. Er machte Petronius ein kaum sichtbares Zeichen.
    »Sie kommen! Verdrück dich, Linus.«
    Mit einem Grinsen, das ich immer noch vor Augen habe, glitt Linus von der Bank. Voller Vorfreude auf sein Abenteuer war er aus der Schenke verschwunden und wieder auf seinem Boot, bevor wir anderen uns noch richtig aufgerappelt hatten.
    Wir hatten unseren Wein bezahlt und verließen schweigend die Schenke. Der Wirt schloß die Tür hinter uns. Wir hörten, wie er einen schweren Riegel vorschob.
    Draußen hatte die Dunkelheit eine andere Färbung angenommen. Der Wind hatte aufgefrischt. Als wir uns wieder am Kai einfanden, schüttelte Fusculus einen Krampf aus seinem Bein, während wir anderen unsere Schwerter zurechtrückten und sie von den Umhängen befreiten. Nervös lauschten wir auf das Geräusch, das wir über dem Knarren der Taue und Bohlen und dem Plätschern der Wellen an den Pollern, Pontons und Schiffsrümpfen wirklich hören wollten.
    Wir konnten eine Bewegung auf der Straße zum Hafen ausmachen, allerdings nur schwach. Martinus mußte sich für diese Mission extra die Ohren geputzt haben, wenn er noch vor uns etwas gehört hatte.
    Bald wurden die Geräusche lauter und als Hufgetrappel erkennbar, dann war auch irgendwo in ihrer Mitte das Rollen von Rädern zu hören. Gleich darauf kam unter lautem Klappern der Hufeisen ihrer Pferde und Maultiere eine kleine Kavalkade in Sicht. Den Mittelpunkt bildete eine außerordentlich prachtvolle Karosse, wie sie sehr reiche Männer für bequeme Sommerreisen zu ihren entlegenen Landgütern benutzen – groß genug, daß der Fahrgast in ihnen essen und schreiben kann oder auch schlafen, wenn es ihm gelingt, das Gerüttel durch die Schlaglöcher zu vergessen. Balbinus hatte auf dieser Fahrt vermutlich kein Nickerchen gehalten.
    Zwei Freigelassene, die wohl beschlossen hatten oder überredet worden waren, daß sie ihren Herrn unmöglich verlassen konnten, sprangen herunter und luden ein bescheidenes Gepäck ab. Balbinus hatte alle seine Sklaven verloren. Das war Teil seiner Enteignung. Was die Freigelassenen
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