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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist
Autoren: Lindsey Davis
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hatte die Grenzen des römischen Reiches überschritten, also war mein Urteil nicht das eines Juristen. Außerhalb des Imperiums läßt es sich durchaus leben. Wie überall braucht man für ein bequemes Leben nur ein bißchen mehr Geld als die Eingeborenen. Jene Verbrecher, die sich die Reise überhaupt leisten konnten, hatten nichts zu befürchten.
    Das also war der Stand der Dinge. Petronius Longus hatte diesen Schwerverbrecher abscheulicher Vergehen überführt und dafür gesorgt, daß er mit dem Tod bestraft wurde – durfte ihm aber noch nicht mal Handfesseln anlegen. Für den heutigen Tag war die Hinrichtung festgesetzt. Daher würde am heutigen Morgen, während sich die Graubärte im Senat über den Verfall der öffentlichen Ordnung aufregten, Balbinus Pius wie ein Ritter aus Rom hinausspazieren und sich auf die Reise zu irgendeinem netten Versteck machen. Das er vermutlich bereits mit goldenen Trinkbechern angefüllt hatte, mit dem dazugehörigen würzigen Falerner und mit hübschen Frauen, die ihm zulächelten, während sie ihm das köstliche Gesöff einschenkten. Petro konnte nichts dagegen unternehmen – nur dafür sorgen, daß der verdammte Schweinehund auch tatsächlich abfuhr.
    Petronius Longus machte das mit der Sorgfalt, die seine Freunde in Rom von ihm erwarteten.
     
    Der als Matrose verkleidete Linus hatte uns genauer zugehört als die anderen der Truppe. Als sein Chef begann, mir die Maßnahmen aufzuzählen, die er ergriffen hatte, drehte Linus sich auf seiner Bank um und leistete uns Gesellschaft. Linus spielte eine Schlüsselrolle bei der Reise des großen Bosses ins Exil.
    »Leider wohnt Balbinus im Circus Maximus Bezirk …«, begann Petro.
    »Jupiter! Der untersteht der Sechsten Kohorte. Gibt’s da irgendwelche Streitigkeiten? Heißt das, du und deine Männer könnt sein Haus nicht überwachen?«
    »Respektlosigkeit gegenüber den örtlichen Ordnungskräften …« Petro grinste leicht. Ich begriff, daß ihn ein bißchen Respektlosigkeit vor den Schlappschwänzen der Sechsten nicht schreckte. »Wir mußten es also als gemeinsame Operation durchziehen. Die Sechste eskortiert ihn hierher.«
    Ich grinste zurück. »Unterstützt von Beobachtern deiner eigenen Kohorte?«
    »Begleitet« , korrigierte Petro pedantisch. Zu sehen, wie sich das gestaltete, würde eine Freude sein!
    »Und du vertraust natürlich darauf, daß sie die Aufgabe ordentlich ausführen?«
    »Na, aber sicher doch!« spottete Linus halblaut.
    Linus sah jung aus für seine dreißig Jahre und hatte sich für seine Rolle eines Seemanns in mehr Tuniken als üblich gehüllt. Dazu trug er abgetragene, verknautschte Stiefel, einen von seiner Mutter gestrickten Schlapphut und ein Seemannsmesser. Die Arme, die aus den kurzen Tunikaärmeln herausragten, waren von kindlicher Rundlichkeit, obwohl keiner von Petros Männern übergewichtig war. Offener Blick und ein Kinn so eckig wie ein Spaten. Ich hatte ihn zwar nie zuvor gesehen, erkannte aber, daß er lebhaft und aufgeschlossen war. Ein Rekrut nach Petros Geschmack.
    »Die Sechste bringt den großen Zampano also hierher, und dann wird er dir übergeben?« sagte ich lächelnd zu Linus. »Was verlangt dieser Sklaventreiber, wie weit mußt du mitfahren?«
    »Bis zum Ziel«, antwortete Petro für ihn.
    Ich warf Linus einen mitfühlenden Blick zu, aber der zuckte nur die Schultern. »So komme ich wenigstens mal raus«, meinte er. »Wenn wir sicher gelandet sind, fahre ich zurück. Zumindest verlangt der verehrte Petronius nicht, daß ich auch auf der Rückfahrt als Seemann arbeite.«
    »Wie nett von ihm! Wohin fährt der Unterweltkönig denn?«
    »Nach Heraclea, auf der Halbinsel Taurica.«
    Ich stieß einen Pfiff aus. »Hat er sich das ausgesucht?«
    »Jemand hat einen sehr nachdrücklichen Vorschlag gemacht«, kam Petros trockene Antwort. »Jemand, der das Recht hat, ihn den Löwen in der Arena zum Fraß vorzuwerfen, falls er sich nicht danach richtet.« Der Kaiser.
    »Dann hat dieser Jemand einen Sinn für Humor. Selbst Ovid mußte nur nach Moesien.«
    Die Welt war kleiner geworden, seit Kaiser obszöne Dichter an die einsamen Küsten des Euxinischen Meeres schickten, um ihre Hexameter zu lüften, während andere unliebsame Bürger nach Gallien segeln und dort als reiche Weinhändler sterben durften. Heute reicht das Imperium weit über Gallien hinaus. Chersoneus Taurica, noch weiter die Küste des Euxinus hinunter als Ovids düsteres Rattenloch, hatte als Müllkippe für Verbrecher
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