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Glücksregeln für den Alltag

Glücksregeln für den Alltag

Titel: Glücksregeln für den Alltag
Autoren: Howard C. Cutler Dalai Lama
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nickte.
    „Und da würde es mich ganz einfach interessieren, was Sie als Ihre wichtigste Tätigkeit ansehen.“
    Der Dalai Lama schaute mich verblüfft an. „Was meinen Sie damit?“
    Und ich war verblüfft, dass er so reagierte. Es schien mir eine einfache Frage zu sein.
    „Nun, wenn man im Westen einem Fremden begegnet, dann lautet die erste Frage oft: ,Was machen Sie beruflich?’ und damit meint man: ,Welche Art von Arbeit tun Sie? Welche Tätigkeit üben Sie aus?“‘, erklärte ich. „Wenn Sie also einem Menschen begegnen, der Ihnen vollkommen unbekannt ist und der seinerseits nicht weiß, wer Sie sind oder noch nie vom Dalai Lama gehört hat, ja nicht einmal weiß, was Ihre Mönchstracht bedeutet, der Ihnen also nur als Mensch begegnet und Sie fragt: ,Was machen Sie beruflich?’, was würden Sie dem antworten?“
    Der Dalai Lama dachte eine Weile schweigend darüber nach und verkündete schließlich: „Nichts. Ich tue nichts.“
    Nichts. Als er meinen ungläubigen Blick sah, wiederholte er, wie zu sich selbst: „Wenn ich mit dieser Frage ganz unvermittelt konfrontiert würde, wäre das wahrscheinlich meine Antwort: nichts.“
    Nichts? Das nahm ich ihm nicht ab. Er arbeitete ganz offensichtlich genauso hart wie alle anderen Menschen, ja sogar härter. Und so anstrengend der heutige Tag auch gewesen war, er war doch geradezu geruhsam gewesen, verglichen mit dem üblichen Programm seiner häufigen Auslandsreisen. Als ich ihn ein Jahr zuvor — informell seinem kleinen Stab angehörend — auf einer Vortragstour durch die Vereinigten Staaten begleitet hatte, hatte ich mit angesehen, wie viel und mit welch unermüdlichem Engagement und welcher Hingabe er arbeitete: In seiner Funktion als Staatsmann hatte er den Präsidenten, den Außenminister und eine ganze Reihe Abgeordneter getroffen. Als Lehrer, ordinierter buddhistischer Mönch und herausragender buddhistischer Gelehrter hielt er lange Vorlesungen, in denen er die subtilsten Facetten der buddhistischen Philosophie darlegte. Als Friedensnobelpreisträger und unermüdlicher Fürsprecher des Weltfriedens und der Menschenrechte hielt er öffentliche Ansprachen vor Zehntausenden, ja Hunderttausenden Zuhörern. Als religiöser Führer, dem der interreligiöse Dialog und die Harmonie zwischen verschiedenen Religionen ein Anliegen ist, traf er mit den verschiedensten religiösen Persönlichkeiten zusammen: mit katholischen Priestern, Rabbinern und Swamis, ja sogar mit dem Oberhaupt der Mormonen. Er traf Wissenschaftler, Gelehrte und Entertainer, berühmte wie unbekannte. Und überall kam er mit tibetischen Flüchtlingen zusammen, die darum kämpften, sich in ihrem neuen Land eine Existenz aufzubauen und voranzukommen. Er arbeitete von morgens bis abends und reiste so schnell von einem Ort zum nächsten, dass die verschiedenen Städte miteinander zu verschmelzen schienen. Und keine einzige Zusammenkunft, keine Veranstaltung auf seiner Tour war auf sein eigenes Betreiben hin organisiert worden - alle waren aufgrund von Einladungen anderer zustande gekommen. Und was noch bemerkenswerter war: Egal, wie voll sein Terminkalender war, er schien seine Arbeit ohne sichtbare Mühe zu bewältigen. Er war glücklich dabei.
    Er tat nichts? Bei weitem nicht.
    „Aber das ist doch einfach nicht wahr“, hakte ich nach. „Was ist, wenn jemand nicht locker ließe und Sie noch einmal fragte?“
    „Nun“, er lachte, „in diesem Fall würde ich wahrscheinlich sagen: ,Ich sorge für mich selbst, ich kümmere mich nur um mich selbst.’“ Er hatte vielleicht meine Frustration angesichts dieser glatten Antwort gespürt, denn er lächelte und fügte hinzu: „Diese Antwort ist vielleicht nicht ganz ernsthaft. Aber wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie finden, dass sie im Grunde stimmt. Alle sechs Milliarden Menschen auf dieser Welt kümmern sich einfach um die ,Nummer eins’ in ihrem Leben. Oder etwa nicht? Was wir auch tun, ob im Beruf oder anderswo, wir alle sind von der Geburt bis zum Tod damit beschäftigt, uns um uns selbst zu kümmern. Das ist unsere Hauptaufgabe.“
    Mein Versuch, ihn auf eine spezifische Tätigkeitsbeschreibung festzunageln, hatte uns also schnell in eine Sackgasse geführt. Und nicht zum ersten Mal war mir aufgefallen, dass er eine natürliche Abneigung hatte, sich auf Diskussionen über seine Rolle in der Welt einzulassen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass er kein Mensch ist, der sich viel mit sich selbst beschäftigt. Aber genau weiß ich es
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