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Glücksklee

Glücksklee

Titel: Glücksklee
Autoren: Holly Greene
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Wirklichkeit des Kleinstadtlebens übertünchen, jedenfalls nicht in Ninas Augen.
    Nein, Lakeview war nur eine Zwischenstation für sie. Eine Art Nothalt. Und sobald sie einigermaßen zu sich gekommen war, würde sie sofort wieder von hier verschwinden.
    Sie stieg an der Main Street aus. Die Bushaltestelle lag nahe des Sees, gleich vor dem Café, das sich schon seit Urzeiten hier befand. Ob es wohl immer noch Ella gehörte? Ella war schon älter und hatte immer die herrenlosen Tiere eingesammelt, erinnerte Nina sich. Die Cafébetreiberin war immer sehr nett zu ihr gewesen, sie hatte offenbar spitzgekriegt, dass Nina sich nur ungern in Lakeview aufhielt. Oder vielleicht hatte sie auch einfach Mitleid gehabt, weil Ninas Papa nie viel Zeit für seine Tochter übrig hatte.
    Nina schulterte ihren Rucksack und ging am Seeufer entlang und dann weiter über die alte Steinbrücke, die zum Haus ihres Vaters führte.
    Am Telefon hatte sie ihm gesagt, sie würde etwa um sechs ankommen.
    «Dann ist Essenszeit. Es gibt Kohl mit Speck», hatte Patrick gesagt. Unwillkürlich musste Nina den Kopf schütteln. Wie hatte sie das vergessen können? Montags Schweinekoteletts, dienstags Steak, mittwochs Kohl mit Speck … Schon damals hatte Patrick Hughes diese Gerichte immer an den gleichen Wochentagen gekocht, ausnahmslos, und daran hatte sich in all den Jahren anscheinend nichts geändert.
    Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen?

    Als Nina in den Hausflur trat, machte Patrick einen Schritt rückwärts.
    «Hi, Dad. Wie geht’s?» Nina versuchte erst gar nicht, ihren Vater in die Arme zu nehmen. Berührungen kamen in ihrer Beziehung nicht vor. Aber sie war doch ein bisschen verärgert, dass das Wiedersehen mit seiner Tochter ihm anscheinend so gleichgültig war. Keine herzliche Begrüßung, keine Begeisterung, kein Interesse.
    Sicher, es war ja ihre eigene Entscheidung gewesen, ihn so lange nicht zu besuchen, aber es quälte sie trotzdem. Zumal ihr Vater kein einziges Mal von sich aus versucht hatte, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Ob er jetzt die positiven Veränderungen an ihr wahrnehmen würde? Seit ihrer letzten Begegnung hatte Nina mehr als sechs Kilo abgenommen, und ihr ehemals kurzes dunkles Haar reichte ihr mittlerweile bis weit über die Schultern. Doch ihr Vater ließ sich nichts anmerken.
    «Ich habe Essen für dich gemacht, aber das könnte kalt geworden sein», erklärte er, und da erfasste Nina den Grund für seine Nervosität: Sie hatte Patrick gesagt, sie käme um sechs, und jetzt war es Viertel nach. Sie kam zu spät.
    «Ich bin am Café aus dem Bus gestiegen. Ich dachte, ich wäre früher hier …» Dann verstummte sie und fragte sich, warum sie sich eigentlich rechtfertigte. Schließlich war sie kein Kind mehr. Außerdem kam sie nur fünfzehn Minuten zu spät, was war denn daran so schlimm?
    «Ich hoffe, du hast schon angefangen – du brauchtest nicht auf mich zu warten. Ich kann mein Essen ja in die Mikrowelle stellen.» Sie wusste, dass ihr Vater nie und nimmer mit dem Essen auf sie gewartet hätte. Wie jeden Abend aß er bei den Sechs-Uhr-Nachrichten, und auch der Besuch seiner Tochter, die er jahrelang nicht gesehen hatte, würde daran nichts ändern.
    «Ich gucke gerade die Nachrichten», bestätigte Patrick ihren Verdacht, und Nina verdrehte innerlich die Augen.
    Sie folgte ihm ins Wohnzimmer, das sich seit ihrem letzten Aufenthalt in Lakeview kein bisschen verändert hatte, und setzte ihren Rucksack auf dem Sofa ab.
    «Ich habe dein altes Zimmer fertig gemacht», sagte Patrick und bedachte ihr Gepäck mit einem nervösen Blick. Für Nina hieß das, dass sie den Rucksack nach oben bringen sollte, statt sein schönes, aufgeräumtes Wohnzimmer in Unordnung zu bringen.
    «Danke. Ich packe nach dem Essen aus, wenn das okay ist – ich bin ein bisschen müde nach der Busfahrt.» Wieder fand Nina es schrecklich, dass sie sich in seiner Gegenwart so verlegen und so unbehaglich fühlte.
    «Ist in Ordnung», sagte Patrick unverbindlich, so als habe sie ihm mitgeteilt, sie wolle keinen Zucker in den Tee. Er bot nicht an, ihr zu helfen, stellte auch keine Fragen nach ihrer Reise, sondern ließ sich in seinem Sessel nieder und guckte in die Glotze.
    Auf dem Weg in die Küche erinnerte Nina sich ganz genau, warum sie ihren Vater irgendwann nicht mehr besucht hatte: Es war frustrierend und tat sogar richtig weh, dass er ihr gegenüber nie Anteilnahme, sondern fast absolute Gleichgültigkeit zeigte. Sie saß in der Klemme,
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