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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders
Autoren: Melanie Ahrens
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würde aus »Blödsinn« erbrechen. Man meinte, sie wäre wohl etwas gestört. Und außerdem bekamen wir ständig zu hören: »Das ist bei den Kindern eben nun mal so!«
    Louise tat mir sehr Leid. Ihre Mundwinkel waren von der Magensäure, die durch das Erbrechen aufstieg, ganz wund und eingerissen. Ich hätte ihr so gern geholfen und ihre Beschwerden gelindert.
    Ich ärgerte mich auch erneut über die Pflegegeldkasse, bei der wir aufgrund des vermehrten Pflegebedarfs durch das Erbrechen bereits während des ersten Lebensjahres einen Antrag auf Pflegegeld gestellt hatten. Der Gutachterin konnten wir das Erbrechen damals jedoch nicht glaubhaft machen. Ich hatte den Eindruck, sie wollte Louises Qual runterspielen. Ihr Blick hatte mir gesagt: Andere Kinder spucken auch, was stellen Sie sich so an, Frau Ahrens!
    Eine Zahlung von Pflegegeld war abgelehnt worden.
    Könnte die Gutachterin Louise jetzt nur einmal sehen …
    Als bei einer von Loreens Vorsorgeuntersuchungen durch unseren Kinderarzt ein Herzgeräusch festgestellt wurde, wollte ich meinen Ohren zuerst nicht trauen. Ich hatte doch schon genug Sorgen mit Louise. Wir wurden in eine Kinderklinik für Herzkrankheiten überwiesen, in der wir auch bereits mit Louise zur Abklärung ihres Herzfehlers – dem kleinen Loch -gewesen waren.
    Rolf und ich hofften auf den gleichen Defekt wie bei Louise, der sich dann ganz bestimmt von selbst zurückbilden würde.
    Ich fuhr mit Loreen allein zur Klinik.
    Rolf konnte uns nicht begleiten, da er arbeiten musste. Seinem Chef war es nicht verständlich zu machen, dass die Anwesenheit von Rolf wichtig war. Nur die Firma zählte, Rolfs Privatleben musste nebenherlaufen, auch wenn man ein behindertes und ein krankes Kind hatte.
    In der Klinik wurde bei Loreen ein anderer Herzfehler diagnostiziert als bei ihrer Schwester, eine Verengung an der Lungenschlagader – eine so genannte periphere Pulmonalstenose. Mir war sehr mulmig zumute, als die Ärzte Loreen so ausgiebig betrachteten und sie so lange untersuchten und sich viel sagende Blicke zuwarfen.
    Einer der Ärzte hatte einen Bogen in der Hand, auf dem er immer wieder etwas abhakte, wenn die Ärztin bei Loreen etwas festgestellt hatte. Sie sagte bei jeder Frage des Arztes: »Hat sie auch. – Hat sie auch. – Hat sie auch.«
    Ich drängte, mir doch bitte ehrlich zu sagen, was sie so genau untersuchten und warum sie sich unterdessen so bedeutungsvoll ansahen.
    Einer der Ärzte äußerte, dass Loreen einige Auffälligkeiten aufweise. Sie sei sehr entwicklungsverzögert, habe eine auffällige Augenstellung und eine auffällige Augenfarbe, sei sehr klein und so weiter.
    Die Ärztin fragte, ob Loreen oft unruhig sei und nachts häufig schreien würde. Ich berichtete ihr, dass wir uns sehr einschränken müssten bei allem, was Geräusche erzeugte. Wir durften ja nicht einmal jede Stufe unserer Holztreppe betreten, da das Knacken einiger Stufen – besonders der dritten von unten – Loreen aus dem Schlaf riss. Auch bei Prasseln von Regen an die Fensterscheibe würde sie völlig durchdrehen und sich regelrecht in einen Wahn schreien. Die Ärztin bemerkte: »Auch sehr typisch!«
    Was meinte sie bloß? Ich hatte die Sorge, dass Loreen lebensbedrohlich krank war. Mir schoss durch den Kopf, Loreen könne einen Gehirntumor haben. Das würde auch die Schreiattacken erklären und ihr Hämmern mit dem Kopf gegen die Gitterstäbe. Mir war schlecht. Mein Magen krampfte sich zusammen.
    Die Ärztin sagte, sie dürfe Eltern nicht einfach so eine Verdachtsdiagnose entgegenschmettern. Sie müsse sich mit ihren Kollegen erst einmal beraten und noch einige Untersuchungen durchführen lassen. Sie würde mich dann anrufen.
    Ich bestand darauf, dass sie mir ihren Verdacht offen legte. Sofort. Ich war doch durch die Erfahrungen mit Louise gut vorbereitet auf Schreckensmeldungen. Was sollte schon Großartiges mit Loreen sein? Mit Zögern erklärten mir beide Ärzte, dass sie den Verdacht auf ein Syndrom hätten. Mich traf fast der Schlag. »Das sind ausgesprochen hübsche Kinder mit solchen typischen Kulleraugen, genau wie bei ihrer Tochter. Aber …« Ich verstand nur Bruchstücke: Die Ärztin sagte etwas, das sich anhörte wie der Name einer Birnensorte. »Williams-Christ- …« Die Wörter KLEIN – UNRUHIG - HERZFEHLER – AUGENPROBLEME – NABELBRUCH - GERÄUSCHEMPFINDLICH – ENTWICKLUNGSVERZÖGERT, aber vor allem GEISTIG BEHINDERT hallten wie ein Echo in meinem Kopf.
    Ich sah noch einmal die ganze
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