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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders
Autoren: Melanie Ahrens
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umher, dass sie mit dem Kopf gegen die Gitterstäbe stieß. Wir mussten sie abwechselnd durch das Zimmer tragen, an den Beinen massieren und mit viel Händedruck am Rücken reiben, damit sie sich etwas beruhigte. Einschlafen tat sie nur, wenn wir sie in ihre Babyautositzschale setzten und sie anschubsten und schaukelten. Es war eine unerträgliche Situation, da auch wir seit Loreens Geburt keinen erholsamen Schlaf mehr fanden. Zusätzlich mussten wir uns immer sehr leise verhalten, da Loreen schon bei alltäglichen und unvermeidbaren Geräuschen – wie beispielsweise beim Drücken eines Lichtschalters – hochschreckte und schrie.
    Irgendwann waren wir fix und fertig mit den Nerven. Wir waren stets unausgeschlafen und hatten ständig schlechte Laune. Außerdem hatte ich große Sorge, dass Louise durch die Unruhe ihrer Schwester – besonders in der Nacht – gestört würde. Aber Louise saß bei den allnächtlichen Schreiattacken ihrer Schwester jedes Mal still in ihrem Bettchen, sie weinte oder meckerte überhaupt nicht. Sie wartete artig, bis wieder Ruhe einkehrte.
    Ich hob sie einmal aus dem Bett und setzte sie auf den Wickeltisch. Da sah sie mich mit ihren treuen Augen an und brabbelte: »Mama, Mama, do do dita!« Sie meinte damit ganz bestimmt: »Das wird schon wieder!« Es konnte mich niemand so gut trösten wie Louise.
    Louise hatte von klein auf diese ganz besondere Art, mir Wärme, Geborgenheit und Trost zu schenken. Ich fühlte mich in Louises Nähe unendlich wohl. Manchmal konnte ich es gar nicht fassen, Louise war zufrieden und fröhlich, Loreen aber, unser »gesundes« Kind, schrie ständig und zerrte an unseren Nerven. Es wurde mir erst jetzt klar, wie wertvoll mir mein behindertes Kind war.
    Da Rolf und ich gern ausgiebig spazieren gingen, kauften wir für die Mädchen einen Zwillingswagen. Die Sitze befanden sich hintereinander, sodass ich den Kinderwagen ohne Probleme durch die Gänge an den Supermarktkassen vorbeischieben konnte. Bei unserem ersten Einkauf mit dem neuen Gefährt meckerte Louise unaufhörlich und gestikulierte zu ihrem Gebrabbel. Es schien ihr nicht zu passen, dass sie Loreen nicht sehen konnte, weil sich die Sitze hintereinander befanden. Also bauten wir den Wagen so um, dass die Kinder sich gegenübersaßen und Louise ihr Schwesterchen während der Fahrt anschauen konnte. Jetzt war Louise zufrieden. Sie ließ ihre geliebte Loreen nicht aus den Augen, und so rissen wir viele Kilometer mit dem tollen Gefährt ab.
    Vier Wochen nach Loreens Geburt feierten wir bereits das Richtfest für unser Haus. Oma Hannelore und Opa Wolfgang, die beide Vollzeit arbeiteten, hatten sich an diesem Tag freigenommen, um auf die Mädchen aufzupassen, sodass ich alle nötigen Vorbereitungen für das Fest treffen und zum Richtspruch und Empfang der achtzig Gäste anwesend sein konnte.
    Vier Monate später zogen wir dann in unser Eigenheim mitten auf dem Land. Es war alles sehr schön geworden – ein selbst geschaffenes Paradies zum Wohlfühlen: Unser Bauernhaus mit einhundertvierzig Quadratmetern Wohnfläche war rustikal, aus roten dänischen Ziegeln gebaut, mit zweiflügeligen braunen Fenstern auf einem Grundstück von fast tausend Quadratmetern. Die Mädchen hatten beide ein eigenes Zimmer, Loreens mit hellgrünen Tapeten, beige-grün karierten Vorhängen und mit Kiefernholzmöbeln ausgestattet. Louises Zimmer doppelt so groß, die Tapeten orange-gelb, dazu passende orange-gelb karierte Vorhänge, ebenso mit Kiefernholzmöbeln ausgestattet. Morgens krähten die Hühner in der Ferne, und die Kühe muhten auf der gegenüberliegenden Koppel.
    Unser Glück wurde allerdings getrübt, da Louise immer häufiger Nahrung erbrach und es ihr nicht gut zu gehen schien. Gelegentliches Erbrechen, Spucken sowieso, waren wir gewohnt. Wir ließen sie immer wieder untersuchen, wurden jedoch jedes Mal ohne Befund nach Hause geschickt. Manchmal erbrach sich Louise jetzt bis zu fünfzehn Mal am Tag. Ich musste sie entsprechend oft umziehen, und als der Schrank einmal leer war, setzte ich sie nackt in die Badewanne. Sie erbrach sich bis zur Erschöpfung. Schließlich brachte ich sie in ihr Bettchen, und sie schlief den Rest des Tages bis zum nächsten Morgen.
    Obwohl diese heftigen Attacken anhielten, sah Louise immer noch gut genährt und robust aus. In vier von uns selbst aufgesuchten Kliniken war sie inzwischen untersucht worden. Aber eine organische Ursache wurde nicht gefunden, und die Ärzte redeten uns ein, Louise
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