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Glockenklang von Campanile

Glockenklang von Campanile

Titel: Glockenklang von Campanile
Autoren: Lucy Gordon
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Fensterläden schließen.
    “Nein, lass sie offen”, bat sie. “Ich schaue so gern hinaus zum Himmel.”
    Als sie die Augen schloss, musste sie ihm recht geben. Sie war wirklich müde. Kurz meinte sie, seine Lippen auf ihrer Stirn zu spüren, wusste aber nicht, ob sie es sich nicht nur eingebildet hatte.
    Als sie erwachte, schwand das Licht schon, obwohl es noch Tag war. Gemächlich erhob sich Sonia vom Bett und ging ans Fenster, um einen Blick auf den Kanal zu werfen. Das Wasser lag ruhig da, und die Wege an beiden Seiten waren menschenleer. Warmes Licht fiel aus den Fenstern.
    Sie schaute den
rio
entlang nach links, wo er sich mit dem Canale Grande vereinte. Ein
vaporetto
fuhr gerade vorbei, schickte kleine Wellen durch den schmalen Kanal. Das Boot ihr gegenüber tanzte an seiner Leine auf und ab.
    An ihrem ersten Abend in Venedig war unter ihrem Hotelzimmerfenster eine Gondel angebunden gewesen. Und jedes Mal, wenn eins der Motorboote auf dem Canale Grande entlangfuhr, schwappten die Wellen gegen die schlanke Gondel. Ihr Schlafzimmerfenster in London lag direkt an einer Hauptverkehrsstraße. Das Dröhnen der vorbeifahrenden Lastwagen hatte sie irgendwann nicht mehr beim Schlafen gestört. Aber in der stillen venezianischen Nacht hielten sie diese leisen Geräusche wach.
    Oder waren es vielleicht gar nicht diese Geräusche, die sie um den Schlaf brachten, sondern der junge Mann, den sie kennengelernt hatte – und dessen Küsse noch lange in ihr summten, nachdem er sich verabschiedet hatte und seine Schritte auf den Steinplatten verklungen waren?
    Nun stand sie am Fenster, lauschte auf die Stille in der Wohnung und fragte sich, ob Francesco ausgegangen war. Leise ging sie zur Tür und öffnete sie. Im Wohnzimmer verbreitete nur eine kleine Lampe ihr schwaches Licht, und beinahe hätte sie Francesco nicht bemerkt, der in einem Sessel saß. Auf Zehenspitzen näherte sie sich ihm und sah, sein Kopf war nach vorn gesunken. Er hatte die Augen geschlossen, atmete tief und regelmäßig.
    Neben dem Sessel stand ein Hocker. Vorsichtig zog sie ihn heran und setzte sich, blickte Francesco ins Gesicht.
    Das Jungenhafte daraus war verschwunden, und es schmerzte sie, die Veränderung zu sehen. Um seinen ausdrucksvollen Mund, der früher so fröhlich lachen konnte, lag ein Zug von Härte. Zweieinhalb Jahre waren erst seit ihrer Heirat vergangen, doch in seinem Gesicht zeigten sich neue Linien, und es waren keine Lachfältchen. An seinen Schläfen entdeckte sie sogar ein leichtes Grau.
    Aber er ist doch erst sechsunddreißig, dachte sie bestürzt. Und ein anderer, unangenehmer Gedanke folgte auf dem Fuß.
    Du bist daran schuld.
    Ein Arm hing herab. Sie ergriff sachte seine Hand und betrachtete sie. Sofort stellte sich ein Prickeln auf ihrer Haut ein, kaum merklich zwar, aber genug, um sie daran zu erinnern, welche Freuden ihr diese schlanken, kräftigen Finger bereitet hatten. Am Zeigefinger entdeckte sie einen feinen Schnitt, der nicht richtig versorgt aussah. Francesco schnitt sich ständig, wie sie sich nun erinnerte. Es geschah, wenn er halb fertige Glasstücke zur Hand nahm, um sie genau zu begutachten. Und wenn er dann nach Haus kam, hatte sie sich liebevoll um diese kleinen Verletzungen gekümmert. Er lachte dann immer und sagte: “Ich bin unverwüstlich. Aber hör nicht auf. Ich liebe es, wenn du dich so um mich kümmerst.”
    Nun fragte sie sich, wie gut und wie oft sie sich um ihn gekümmert hatte.
    Ihr fiel auf, wie schmucklos die Wohnung war, so kurz vor dem Christfest. Wo waren die Weihnachtsdekorationen? Francesco hatte glitzernde Rauschgoldengel und die grünen Ilexzweige mit ihren leuchtend roten Beeren damals so früh wie möglich aufgehängt. “Wie ein großes Kind”, hatte sie ihn in ihrem ersten Jahr geneckt. Aber im zweiten Jahr, ihrem letzten gemeinsamen Weihnachten, hatte dieser Spaß hohl geklungen angesichts ihrer scheiternden Ehe, und die bunten Lichter hatten das Gefühl der Leere nur noch betont.
    Und nun dies – überhaupt kein Weihnachtsschmuck.
    Die Wohnung war blitzblank aufgeräumt. Francesco hatte mit Hausarbeit nie viel im Sinn gehabt. Zweifelsohne hatte Giovanna ihm nur zu gern geholfen. Aber sich um jemand zu kümmern, war etwas ganz anderes. Bei dem Gedanken, wie er in die leere Wohnung und zu dem lächelnden Hochzeitsfoto zurückkehrte, wo sich niemand um seine kleinen Kratzer kümmerte, tat ihr auf einmal das Herz weh. Instinktiv schmiegte sie ihre Wange an seine Hand. Dieses
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