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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut
Autoren: Robert Aickman
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»Sie läuten schon viel zu lange«, sagte sie und drängte sich an ihn. »Würden sie doch endlich aufhören.«
    »Wir packen und verschwinden. Ich wollte nur wissen, ob wir hier herauskommen. Wir sollten die Tür leise schließen.«
    Sie knarrte ein wenig in den Angeln, und Gerald zögerte, ob er die halbgeschlossene Tür mit einem Ruck zuknallen oder Geräusche besser vermeiden sollte.
    Plötzlich schoß mit erhobenen Armen, die ein schwarzes Gewand über den Kopf zu halten schienen, etwas Dunkles und Formloses in scharfwinkliger Bahn, ganz wie eine Fledermaus, durch die engen, schlechtbeleuchteten Straßen, ohne irgendein Geräusch von sich zu geben. Es war dies das erste Wesen, das sich durch die Straßen von Holihaven bewegte, und Geralds Erleichterung war groß, daß nur er es erblickt hatte. Da seine Hand zitterte, schloß er die Tür allzu heftig.
    Doch wen sollte dies schon stören; dennoch hielt er einen Augenblick inne und lauschte in die Dunkelheit. Er nahm wahr, daß Mrs. Pascoe nunmehr hysterisch schluchzte, und wieder einmal war er dankbar dafür, daß Phrynne ihm auf der Treppe ein paar Schritte voraus war. Oben lag die Zimmertür des Kommandanten direkt vor ihnen: Sie mußten ganz dicht an der japanischen Rüstung vorbei, um linkerhand in den Flur zu gelangen.
    Dann aber waren sie auch schon in ihrem Zimmer, und der Schlüssel drehte sich in dem mächtigen Kastenschloß.
    »Oh Gott«, stieß Gerald hervor und sank auf das Doppelbett. »Das ist die Hölle!« Nicht zum erstenmal an diesem Abend erschrak er vor der ungewollt tiefen Wahrheit seiner eigenen Worte.
    »Mag es denn die Hölle sein«, sagte Phrynne in beinahe ruhigem Ton, »wir jedenfalls werden uns nicht in sie hinauswagen.«
    Es war unklar, wieviel sie wußte, er ahnte es nur und fürchtete sich; jedes klärende Wort von seiner Seite konnte unabsehbare, gefährliche Folgen haben. Doch spürte er ihre Widerstandskraft; es fehlten ihm die Reserven, dagegen anzukämpfen.
    Sie blickte aus dem Fenster auf die Hauptstraße. »Wir könnten sie allein durch unseren Willen dazu bringen, aufzuhören«, schlug sie mit müder Stimme vor.
    Gerald fürchtete mittlerweile das fortdauernde Glockengeläut weniger als dessen Verstummen. Die Möglichkeit, daß man bis in die Dämmerung hinein weiterläuten könnte, erschien ihm jedoch hoffnungslos unwahrscheinlich.
    Dann stellte ein Turm das Geläut ein. Es gab keine andere Erklärung für die hörbare Verminderung des Klangvolumens.
    »Siehst du!« sagte Phrynne.
    Gerald richtete sich auf der Bettkante kerzengerade auf. Beinahe gleichzeitig nahm der Geräuschpegel aus verschiedenen Richtungen ab, ein Kirchturm nach dem anderen schwieg, bis nur noch ein einziger blieb - eben der, mit dem das Geläut begonnen hatte. Und dann schrumpfte auch dessen Läuten auf eine einzige Glocke zusammen. Diese letzte Glocke erklang allein, abgehackt, aus dem Takt geraten, fünf, sechs oder sieben Mal. Und dann verstummte auch sie; nichts mehr, völlige Stille.
    Geralds Kopf war wie eine Echohöhle, in der jedoch das Klopfen des eigenen Herzens den Nachhall zu übertönen begann.
    »Du liebe Güte«, sagte Phrynne, wobei sie sich vom Fenster abwandte und die Arme über den Kopf erhob, »laß uns morgen bloß woanders hinfahren.« Sie begann sich zu entkleiden.
    Schneller als sonst lagen sie im Bett und einander in den Armen. Gerald hatte vorsorglich nicht aus dem Fenster geblickt, und keiner von ihnen machte den Vorschlag, es wie üblich zu öffnen.
    »Da es schon ein Himmelbett ist, könnten wir doch auch die Bettvorhänge zuziehen«, schlug Phrynne vor. »Und es uns so richtig behaglich machen? Nach diesem verdammten Läuten.«
    »Wir könnten ersticken.«
    »Und wenn schon.«
    »Früher hat man die Vorhänge nur zugezogen, wenn die Möglichkeit bestand, daß Leute durch das Zimmer gingen. Aber Liebling, du zitterst ja am ganzen Leib! Wir sollten die Vorhänge wirklich zuziehen.«
    »Lieg’ still und lieb’ mich.«
    Doch alle seine Sinne waren nach draußen gerichtet, dorthin, wo nun nichts mehr zu hören war, ob im Hotel oder auf der Straße: keine knarrende Fußbodendiele, keine Katze auf der Jagd, kein Käuzchen in weiter Ferne, nichts. Nachdem die Glocken verstummt waren, hatte Angst ihn bis jetzt davon abgehalten, auf seine Uhr zu sehen: Die Zahl der dunklen Stunden, die sie noch in Holihaven würden ausharren müssen, lastete schwer auf ihm. Der Anblick des Kommandanten, wie er dort in dem verdunkelten Zimmer am
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