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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut
Autoren: Robert Aickman
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versuchte, sie festzuhalten, doch einer der Tänzer versetzte ihm in der Dunkelheit einen Schlag, der sie ihm aus den Armen riß. Plötzlich schien sie verschwunden, nicht mehr existent.
    Die Tänzer wogten überall, ihre Glieder wirbelten durch die Luft, und ihre Lungen barsten im Rhythmus des Gesangs. Gerald vermochte nicht einmal, dem einen Schrei entgegenzusetzen. Er versuchte, sich zu Phrynne durchzukämpfen, doch sogleich schleuderte ihn ein kantiger Ellbogen zu Boden, hinunter in einen Abgrund unsichtbarer, alles niederstampfender Füße.
    Bald entfernten sich die Tänzer jedoch wieder: Sie verließen anscheinend nicht nur das Zimmer, sondern auch das Haus. Zerschunden und versehrt, vernahm Gerald, wie die Hymne in den Straßen auflebte, während der rasende Pöbel seine Stoßkeile vereinigte. Drinnen gab es lange Zeit nichts als Chaos, Dunkelheit und Verwesungsgeruch. Gerald fühlte sich schlecht, so schlecht, daß er gegen eine Ohnmacht ankämpfen mußte. Er konnte nicht denken und sich nicht bewegen, so lebensnotwendig es auch sein mochte.
    Dann mühte er sich in eine sitzende Stellung empor und ließ den Kopf auf die zerwühlten Bettlaken sinken. Für eine ungewisse Spanne verlor er jedes Zeitempfinden, war er fühllos für alles, bis er hörte, wie Schritte sich durch den dunklen Flur näherten. Der Kommandant trat ein, in der Hand eine brennende Kerze. Den Fluß des heißen Wachses, der bereits auf einer große Hautfläche seiner knotigen Hand erstarrt war, schien er zu ignorieren.
    »Sie ist in Sicherheit. Wozu Sie nicht gerade viel beigetragen haben.«
    Der Kommandant starrte Gerald, der eine ganz und gar unwürdige Figur machte, mit frostigem Blick an, Gerald versuchte dagegenzuhalten. Er war übel zugerichtet, und seine Schwindelgefühle mochten eine Gehirnerschütterung bedeuten. Doch die Erleichterung ließ seine Lebensgeister wieder erwachen. »Haben Sie sie gerettet?«
    »Sie war mitten hinein geraten. Tanzte mit den anderen.« Die Augen des Kommandanten glühten im Schein der Kerze. Gesang und Tanz waren fast erstorben.
    Noch immer war Gerald nicht zu mehr fähig, als sich auf sein Bett zu setzen. Seine Stimme war leise und undeutlich, als komme sie von außerhalb seines Körpers. »Waren sie ... waren einige von ihnen ...«
    Als der Kommandant antwortete, schien er Geralds Schwäche mehr denn je zu verachten. »Sie tanzte zwischen zwei von ihnen. Jeder hielt eine ihrer Hände.«
    Gerald konnte ihm nicht in die Augen sehen. »Was haben Sie getan?« fragte er mit derselben abwesend-leisen Stimme.
    »Ich habe getan, was getan werden mußte. Ich hoffe, es war noch nicht zu spät.« Und nach einer kaum merklichen Pause fuhr er fort. »Sie finden sie unten.«
    »Ich bin Ihnen dankbar. Es klingt lächerlich, aber was könnte ich sonst sagen?«
    »Können Sie gehen?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Ich werde Ihnen hinunterleuchten.« Die Stimme des Kommandanten war so unnachgiebig wie immer.
    In der Lounge brannten zwei weitere Kerzen, und Phrynne, die einen mit einem Gürtel zusammengehaltenen Damenmantel trug, der nicht ihr gehörte, saß zwischen den beiden Kerzen und trank. Mrs. Pascoe, in voller Montur, doch mit abwesenden Augen, kramte in dem Trümmerhaufen, der einmal die Lounge gewesen war. Es sah beinahe so aus, als setze sie lediglich die Tätigkeit fort, die sie zuvor nicht zu Ende geführt hatte.
    »Liebling, sieh dich nur an!« Phrynnes Worte hatten noch immer eine hysterische Note, doch ihre Stimme klang so sanft wie immer.
    Gerald, der nicht mehr an Prellungen und eine mögliche Gehirnerschütterung dachte, zog sie in seine Arme. Schweigend und lange umarmten sie sich, dann sah er ihr in die Augen.
    »Hier bin ich«, sagte sie und wandte die Augen ab. »Kein Grund zur Sorge.«
    Still und unauffällig hatte sich der Kommandant zurückgezogen.
    Ohne seinen Blick zu erwidern, leerte Phrynne im Stehen ihr Glas. Gerald nahm an, daß es sich um eines von Mrs. Pascoes Gebräuen handelte.
    Wo Mrs. Pascoe herumhantierte, war es so dunkel, daß ihre Mühen kaum etwas bewirken konnten; doch sie richtete das Wort nicht an ihre Besucher und diese nicht an sie. An der Tür streifte Phrynne unerwartet den Mantel ab und warf ihn auf einen Stuhl. Ihr Nachthemd war zerrissen, so daß sie fast nackt dastand. Und trotz der Dunkelheit konnte Gerald erkennen, wie Mrs. Pascoe Phrynnes schönen Körper mit feindseligen Blicken musterte.
    »Dürfen wir wohl eine der Kerzen mitnehmen?« fragte er höflich; die gewohnten
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