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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut
Autoren: Robert Aickman
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Floskeln alltäglicher Umgangsformen stellten sich rasch wieder ein.
    Mrs. Pascoe jedoch tat nichts, als sie schweigend anzustarren, und so leuchteten sie sich selbst durch die Wildnis der zerbrochenen Möbel zu den Ruinen ihrer eigenen Bettstatt. Die japanische Rüstung lag immer noch am Boden, die Tür zum Zimmer des Kommandanten war geschlossen. Der Gestank war fast verflogen.

    Schon um sieben Uhr in der Frühe am nächsten Morgen schien man erstaunlich viel unternommen zu haben, um die Ordnung wiederherzustellen. Doch niemand war zu sehen, und so machten sich Gerald und Phrynne ohne ein Wort auf den Weg.
    In der Wrack Street war ein Milchmann gerade dabei, seine Ware auszuliefern, doch Gerald fiel auf, daß sein Karren den Namen einer anderen Stadt trug. Ein Laufbursche auf einem Botengang mit unbekanntem Ziel, dem sie später begegneten, mochte ein Einheimischer gewesen sein; als sie die Station Road erreichten, sahen sie, daß Männer mit Spaten in den Händen schweigend ein kleines Stück Land bearbeiteten. Sie wimmelten auf der Erde wie Fliegen auf einer Wunde, und sie waren ebenso schwarz. In der Dunkelheit des vorigen Abends hatten Gerald und Phrynne die Anlage übersehen. Ein Schild klärte sie nun darüber auf, daß es sich um den Neuen Städtischen Friedhof handelte.
    Im milden Licht des Herbsttages war der Anblick der schweigenden schwarzen Arbeiter entsetzlich. Phrynne schien das indes nicht zu finden. Im Gegenteil, ihre Wangen hatten sich mit Röte überzogen, und ihr voller Mund, feucht und leicht geöffnet, sah noch wollüstiger aus als sonst.
    Sie schien Gerald vergessen zu haben, so daß er sie in Ruhe eingehend betrachten konnte. Es war das erste Mal, daß er das tat, das erste Mal seit der letzten Nacht. Und dann wurde sie wieder sie selbst. Doch Gerald war in diesen wenigen Sekunden bewußt geworden, daß sie etwas trennte, etwas, das keiner von ihnen jemals erwähnen und jemals vergessen würde.

Nachwort des Herausgebers

    1966 veröffentlichte Robert Aickman, damals 52 Jahre alt, seine Autobiographie »The Attempted Rescue« (»Rettungsversuch«). Daß er sich mit dieser - übrigens zurückhaltenden - Selbstdarstellung zu ›retten‹ vermochte, erscheint indessen zweifelhaft, auch angesichts der Prosa, die Aickman danach veröffentlichte. In einem Interview mit dem »Guardian« bezeichnete der Schriftsteller sich 1976 als »untauglich für das Leben«, so wie er sich zehn Jahre zuvor als »Wesen ohne eigenen Willen« empfunden hatte, »ganz und gar abhängig von den Umständen und dem Willen anderer«. Aickmans persönliche wie auch literarische Leistung besteht fraglos darin, seine spezifischen Lebensniederlagen, sein proteisches Getriebensein in einer Phantastik von ganz eigener, dunkler Farbe ›aufgehoben‹ zu haben: in des Wortes doppelter Bedeutung.

    1914 in London geboren, veröffentlichte Aickman zwischen 1951 und 1981, seinem Todesjahr, insgesamt 45 ghost stories, viele davon moderne Meisterstücke ihrer Gattung; die eher konventionelle Erzählung »Pages of a Young Girl’s Journal« wurde 1975 mit dem »World Fantasy Award« ausgezeichnet. 1964 erschien Aickmans Roman »The Late Breakfasters«, ein literarischer Mißerfolg, posthum der Roman »The Model«, 1990 auch in deutscher Sprache publiziert.
    Trotz Autobiographie und einiger Interviews wissen wir nur wenig über Aickmans Lebenslauf; den englischen Lexikographen der Phantastik, Mike Ashley, bat er Mitte der 70er Jahre ausdrücklich, keines seiner Lebensdaten mitzuteilen.
    Offenbar aber überschattete der Vater als bedrückende Autorität Robert Aickmans Kindheit. Ein angesehener Architekt, dominierte er, unfähig zu engeren Bindungen und befangen in persönlichen Obsessionen, die Familie. Die Mutter, dreißig Jahre jünger als ihr Mann, den sie als Dreiundzwanzigjährige heiratete, war eine Tochter des renommierten viktorianischen Schriftstellers Richard Marsh (* 1857 † 1915), dessen erfolgreicher Schauerroman »The Beetle« (1897), ganz im Stile der Zeit, ägyptische Mysterien beschwor und unter dem Titel »Der Isiskäfer« bzw. »Der Skarabäus« auch in deutscher Übersetzung erschien.
    Das nach dem Lebensalter so ungleiche Paar isolierte sich in einer konfliktreichen Ehe. Alle Hoffnungen ruhten auf dem Sohn Robert, dem einzigen Kind, einem hochbegabten Jungen, der bereits mit drei Jahren lesen konnte - fortan aber, zum Entsetzen der statusbewußten Eltern, auch kaum etwas anderes tat. Der junge Aickman sonderte
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