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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab
Autoren: Arnaldur Indridason
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kannst du vergessen. Bei mir kommen nur Wortfetzen an. Fahr bloß wieder zu deiner Mannschaft zurück.«
    »Wir wollen gleich umdrehen. Bleib locker. Das Telefon hat sieb … tausend gekostet. Kannst du mich nicht gut hören?«
    »Dein Telefon kannst du vergessen.«
    »Jetzt hab dich mal nicht so. Wann gehst du mit mir auf den Gletscher?«
    41

    »Ich werde nie auf irgendeinen verdammten Gletscher steigen, du Blödmann.«
    Sie hörte, wie ihr Bruder etwas sagte, was sie nicht verstand, und nach seinem Kumpel rief.
    »Jóhann!«, hörte sie ihn rufen. »Jóhann, was ist denn das?«
    Jóhann war ein guter Freund ihres Bruders und hatte ihn mit seinem Interesse an der Bergnotrettungsgesellschaft angesteckt.
    »Was ist denn das für ein grelles Licht?«, hörte sie Elías rufen, aber er sprach nicht mit ihr, sondern mit seinem Freund.
    »Graben sie im Eis?«, rief er.
    »Irgendetwas geht hier auf dem Gletscher vor«, sagte er zu seiner Schwester am Telefon und klang plötzlich ganz aufgeregt.
    Sie hörte, wie er sich vom Telefon abwandte, seinem Freund etwas zurief und dann wieder ins Telefon sprach.
    »Jóhann meint, dass ein … im Eis ist«, sagte er am Telefon.
    Dann war eine ganze Weile nichts zu hören.
    »Sie kommen«, rief Elías auf einmal. Die Worte kamen stoßweise durchs Telefon. Er schien auf einmal Angst zu bekommen.
    »Wer«, fragte sie verblüfft. »Wer kommt? Was siehst du?«
    »Ganz plötzlich. Sie haben uns mit ihren Motorschlitten eingekreist. Sie sind bewaffnet!«
    »Wer?«
    »Sie sehen aus … Soldaten …«
    »Elías!«
    »… ist ein Flugzeug!«
    Die Verbindung riss plötzlich ab, egal, wie sie ins Telefon schrie und brüllte, es war nur noch das Besetztzeichen zu hören.
    42

    5
    Vytautas Carr war zwar seit langem beim Militär und viel in der Welt herumgekommen, aber er war erst einmal in Island gewesen. Er wusste, dass die amerikanischen Streitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Stützpunkt am Arsch der Welt in einem Sturmloch namens Keflavík errichtet hatten. Er lag eine Autostunde von der Hauptstadt Reykjavik entfernt. Die Basis war einmal einer der wichtigsten Stützpunkte im westlichen Verteidigungssystem gewesen. Die Lage der Insel im Nordatlantik war in vieler Hinsicht strategisch günstig für eine Militärmacht wie die USA, als der Kalte Krieg auf seinem Höhepunkt war. Von dort aus ließen sich die Bewegungen sowjetischer U-Boote und Kriegsschiffe sowie der Luftverkehr der Sowjets in der nördlichen Hemisphäre überwachen.
    Er wusste, dass die Briten das Land zu Beginn des Zweiten Weltkriegs besetzt hatten, bis die Amerikaner 1941 die Verteidigung des Landes übernahmen und zunächst ihren Hauptstützpunkt in Reykjavik errichteten. Man hatte unter anderem das 5. Infanterieregiment nach Island geschickt. Es stand unter dem Kommando von General Cortlandt Parker, der in Tunis gekämpft hatte, bis die Deutschen sich in Afrika ergeben hatten. Auch das 10. Infanterieregiment und das 46.
    Artillerieregiment waren unter dem Kommando von General Charles H. Bonesteel nach Island verlegt worden. Zu Zeiten der größten Truppenstärke waren sechsundzwanzigtausend amerikanische Soldaten im Land stationiert.
    Die Anwesenheit der amerikanischen Streitkräfte hatte seit Ende des Krieges ununterbrochen für politische Unruhe gesorgt.
    Als 1949 der NATO-Vertrag unterzeichnet wurde, kam es vor dem Parlament zu einem Aufruhr, und die linken Parteien hatten die ganzen Jahre hindurch unerbittlich, aber mit geringem 43

    Erfolg, gegen die Militärbasis gekämpft.
    Offiziell hatten die Landesväter dieser abgelegenen Insel immer verlautbaren lassen, dass die Nation keinen finanziellen Vorteil aus der Stationierung der amerikanischen Streitkräfte zog. Das Militär hatte zum Beispiel nie etwas für seinen Standort auf dem Flugplatz Keflavík bezahlen müssen.
    Trotzdem waren Millionen Dollar an einzelne Unternehmen und Dienstleister geflossen, die in enger Verbindung mit den Streitkräften standen und großen Einfluss bei den politisch wohl gesinnten Parteien besaßen. Das hatte dazu geführt, dass der Arbeitsmarkt in den umliegenden Orten zu einem nicht geringen Teil von der Basis abhing. Deswegen hatten die Anwohner recht ablehnend reagiert, als die USA nach Ende des Kalten Krieges versuchten, ihre Aktivitäten in Island einzuschränken.
    Carr rekapitulierte diese Geschichte noch einmal, als er sich auf den Weg zu seinem wöchentlichen Treffen mit dem amerikanischen Verteidigungsminister machte. Er
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