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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug
Autoren: Anne-Gine Goemans
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dann sprudelten die Wörter aus ihm heraus, aber so geordnet wie bei einem Nachrichtensprecher. »Am 15. Januar 2009 landete der US -Airways-Pilot Chesley Burnett Sullenberger seine Maschine auf dem Hudson, nachdem Kanadagänse in beide Triebwerke geflogen waren. Das hatte sich angefühlt wie ein gewaltiger Blitzschlag.«
    Gieles tat, als würde er vom Blitz getroffen, zuckte mit Armen und Beinen und fuhr fort: »Captain Sully, jeder nennt ihn Sully, und der Name steht auch auf T-Shirts und Bechern und Unterhosen, hat alle hundertfünfundfünfzig Insassen von Flug 1549 gerettet.«
    »Zweimal hat er noch kontrolliert, ob wirklich niemand in der Maschine zurückgeblieben war«, fügte der Mann gutgelaunt hinzu. Mit diesem Jungen konnte man reden. »Bevor er das sinkende Schiff als Letzter verließ, wie es sich für den Kapitän gehört. Es sank nämlich wirklich, weil es bei der Landung an der Unterseite aufgerissen war.«
    »Und dann kamen von überall Boote angefahren, um die Passagiere aufzunehmen«, ergänzte Gieles fröhlich. »Aber das wissen Sie bestimmt.«
    »He!«, brüllte der Mann, um ein landendes Flugzeug zu übertönen. »Hör mal auf mit dem Gesieze! Das macht mich nervös.«
    Dann wartete er, bis der Lärm verstummte. »Johan und Judith.«
    Er zeigte auf seine Frau, die Gieles mit ihren restaurierten Augen beeindruckt anstarrte. »Meine Güte, was du alles weißt! Wie viel der Junge schon weiß, findest du nicht?«
    Sie legte die Hand auf den fleckigen Unterarm ihres Mannes. »Johan kennt sich auch so gut mit Flugzeugen und Unfällen aus. Seit 1972 sammelt er alles über Flugzeugunglücke. In Alben, sämtliche Angaben und natürlich Fotos, wenn er welche findet, alles wird eingeklebt. Andere spotter nennen ihn Crashfreak , stimmt’s, Johan?«
    »Hmm.« Eine Boeing hing in ein paar Kilometern Entfernung schwer am Himmel.
    »Es sind sehr schöne Alben. Johan geht es nicht um die Toten und um die Sensation, eher um den Hergang des Unglücks.«
    » I was sure I could do it «, sagte Gieles.
    »Bitte?«, fragte die Frau.
    »Das hat Captain Sully gesagt. Nach seiner Heldentat.« Gieles versuchte, Sullenberger zu imitieren, indem er ganz entspannt mit tiefer Stimme sprach. » I was sure I could do it. «
    Der Mann beobachtete die Maschine, bis ihr Schwanz hinter einer Reihe Birken verschwand. Dann sagte er ein wenig streng: »Also weißt du verdammt gut, wie gefährlich Gänse für die Luftfahrt sind.«
    »Meine Gänse können nicht fliegen«, log Gieles. »Sie haben’s verlernt.«
    »Schaut mal«, sagte die Frau entzückt. »Kenya Airways. So fröhliche Farben. Der bunte Schwanz, wie von einem tropischen Papagei. Ich bin verrückt nach Papageien. Irgendwie erinnern sie mich an Feuerwerk.«
    »Wenn wir das nächste Mal kommen«, sagte Johan, »bringe ich meine Alben mit. Dann zeige ich dir, wie übel so was ausgehen kann, Gänse im Triebwerk. Ganz, ganz übel.«
    »Du wohnst wunderbar hier«, unterbrach ihn seine Frau und zog die Luft durch die Nase ein. »Nah bei den Flugzeugen und trotzdem ländlich.«
    »Verdammt feines Plätzchen«, bestätigte Johan und nickte. »Kann ich nur unterschreiben.«
    Judith drehte sich auf ihrem Stuhl halb um und zeigte auf ein Wäldchen jenseits der Straße.
    »Ich frage mich, wer wohl diese Bäume da gepflanzt hat. So ein junges Wäldchen auf dem Polder … das hat etwas Märchenhaftes.«
    »Umweltschützer«, antwortete Gieles.
    »Eine sehr sympathische Geste.«
    »Warum haben sie das gemacht?«, fragte Johan argwöhnisch und setzte die Pilotenbrille wieder auf.
    »Sie wollten nicht, dass hier eine Startbahn gebaut wird. Deshalb haben sie unserem Nachbarn ein Stück Land abgekauft und Bäume gepflanzt. Aber das Gericht hat entschieden, dass die Bäume weg mussten. Sie haben sie dann dahin umgepflanzt.« Er zeigte auf den Wald. »Meine Mutter nennt das ein Wäldchen im Exil.«
    Den Sommer mit den Umweltschützern empfand Gieles als den schönsten seines Lebens. Eines Tages waren sie ganz plötzlich aufgetaucht. In einem knatternden, nach Dieselabgasen stinkenden Bus fuhren sie auf das Gelände, auf dem vor einiger Zeit die Bäume gepflanzt worden waren. Ihm war nicht klar, wie soviele Menschen und Sachen in den Bus hineinpassten. Zelte, Generatoren, See- und Schlafsäcke, Petroleumlampen und Kochtöpfe wurden ausgeladen. Innerhalb eines Nachmittags verwandelte sich der langweilige Polder in einen Zirkusplatz, auf dem es immer wieder neue aufregende Dinge zu sehen gab. Bald
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