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Gleich bist du tot

Titel: Gleich bist du tot
Autoren: Iain McDowall
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Minirucksack, den er bei Trainingsläufen wie diesem immer dabeihatte. Er konnte darin alles unterbringen, was er früher in Jacken- und Hosentaschen mitgenommen hatte, vor allem seine Brieftasche und sein Handy. Dazu einen Liter Wasser, um der Dehydrierung entgegenzuwirken, die heute Morgen wahrscheinlich ein größeres Risiko darstellte als sonst. Normalerweise trank er nicht viel, aber ausnahmsweise hatte Diane es gestern geschafft, ihn in Feierlaune zu versetzen, und als er aufgewacht war, hatte er sich miserabel gefühlt. Champagner, Bier, selbst ein paar große Brandys hatte er sich genehmigt. Hallam ging über den Parkplatz zum Beginn des markierten Pfads, der hinauf auf den Gipfel führte. Nach den örtlichen Maßstäben war der Crow Hill so etwas wie ein richtiger Berg. Den Parkplatz hatten sie aus dem Wald an seinem Fuß herausgeschlagen. Es gab hier etliche Wege mit Bänken und Picknicktischen, und alles in allem kam Hallam die Natur etwas zu gezähmt vor, aber der Weg zum Gipfel war steil genug, um die Beinmuskeln zu trainieren, wenn man nur ein ausreichendes Tempo vorlegte. Einen Moment blieb er noch stehen, machte ein paar Rumpfbeugen und dehnte die Beinmuskeln, um den Körper ausreichend aufzuwärmen. Er war so gut wie fertig mit seinen Übungen, als er ein erstes, unerwartetes Knacken hörte. Knack. Da bewegte sich etwas ziemlich wild zwischen den nahen Bäumen. Knack, knack. Es klang fast wie ein Wüten, knack, und eigentlich zu laut und ganz sicher zu ungelenk für eines der Tiere, die man hier finden mochte, Kaninchen, Füchse oder, das allerdings sehr, sehr selten, ein Reh oder gar einen Hirsch.
    Er rührte sich nicht und wartete. Und dann war sie da und rannte ins Freie: eine junge Frau. Mittelgroß, schlank, blond. Und nackt. Lehm- und schmutzüberzogen. Die Haut hier und da aufgerissen, verletzt. Blutend. Als sie ihn sah, blieb sie stehen.
    »Hilfe«, sagte sie leise, und es klang wie eine verängstigte Frage, mit der Betonung auf der zweiten Silbe, als wäre das Letzte, was ihm einfallen könnte, ihr zu helfen.
    Er lief zum Auto und holte die karierte Decke von Halfords aus dem Kofferraum, die Diane dort hineingelegt hatte, um immer für ein Picknick ausgerüstet zu sein.
    »Ganz ruhig, Mädchen, ist ja alles gut«, sagte er und war sich absolut nicht sicher, ob das tatsächlich stimmte. Er hielt ihr die Decke hin, aber jetzt, da ihre wilde Flucht ein Ende gefunden hatte, schien sie wie gelähmt und abwesend. Sie hatte ihre Brüste schützend mit den Armen bedeckt, wirkte aber unfähig, oder unwillig, noch eine weitere Bewegung zu machen. Also legte er ihr mit der schwerfälligen Behutsamkeit seiner massigen Gestalt die Decke selbst um die Schultern. Ihm kam der Gedanke, dass sie Hunger oder Durst haben könne, und so nahm er die Wasserflasche aus seinem Rucksack und hielt sie ihr an die Lippen. Sie trank gierig, das Wasser rann ihr übers Kinn. Als sie einen Augenblick innehielt, holte er sein Handy heraus und wählte den Notruf.
    »Ja, genau, hören Sie, einen Krankenwagen. Und ich glaube, die Polizei brauchen wir auch.«
     

6
    Detective Constable Emma Smith war die eine Hälfte der unterbesetzten Sonntagsbereitschaft des Criminal Investigation Department, kurz CID, DC Ray Williams die andere. Das war aus Emmas Sicht nicht das beste Doppel, nachdem ihre kurze Liebesbeziehung zu Ray Williams ein unrühmliches Ende gefunden hatte. Aber Schichtdienst und Arbeitsanforderungen konnten auf Persönliches, auch delikaterer Natur, keine Rücksicht nehmen. Finde dich damit ab oder halt wenigstens den Mund. Und für Emma war die Sache klar, sie würde sich wegen ihrer amourösen Verirrung nicht auch noch beruflich einen Splitter einziehen. Smith und Williams saßen im Büro für Vergewaltigungsopfer und Familienhilfe und warteten auf Carole Briggs, die zuständige Beamtin. An Wochenenden war die Opferhilfe immer stark ausgelastet, und so hatten sie Glück, dass Briggs verfügbar war. Emma hatte schon mit ihr gearbeitet und hielt sie für eine Frau, die wusste, wie man den feinen Grat zwischen Opferschutz und den Einsatzerfordernissen einer polizeilichen Untersuchung beschritt.
    »Du glaubst also nicht, dass wir Jacobson verständigen sollten, Emma?«, fragte Williams.
    Emma erinnerte ihn daran, dass es sowieso nicht möglich sei. Es war nicht einfach nur Jacobsons freies Wochenende, sondern er war mit seiner Freundin für zwei Tage nach Paris gefahren.
    »Richtig«, sagte Williams. »Ich vergesse
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