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Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Titel: Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
Autoren: Tanja Meurer
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röchelnden Atemzüge. Feuchte Kälte tränkte ihren Kragen. Das Wesen zitterte. Angst beherrschte es, Instinkt und Gefühle. Jede Empfindung bedingte auch eine Form des Bewusstseins. Wie auch immer es bei dieser Frau aussehen mochte, Camilla musste sich darauf einlassen. Sacht tastete sie danach.
    Leere empfing sie. Ein Gefühl wie das, was sie in der bedrückenden, endlos großen, feuchtkalten Höhle hinter Ancienne Cologne empfunden hatte, drückte auf sie herab. Erstickend schwer lastete es auf ihr, erschlug sie mit grauenhafter Endlosigkeit.
    Jedes Leben beinhaltete eine Seele. Vielleicht war es wie bei der Höhle. Das, was man suchte, musste nur gefunden werden.
    Wo bist du?
    Stille.
    Ich weiß, dass du da bist.
    Stille – halt, nein, ein beinah lautloses Wimmern, wie ein weiches, warmes Vibrieren in dem kalten Nichts.
    Komm zu mir.
    Das lautlose Beben nahm zu. Näherte es sich?
    Komm zu mir, hier bist du sicher.
    Wimmern … feuchte Wärme, wie von Tränen und fiebriger Haut, heißer Atem, unartikulierte Laute wie die eines stummen Wesens. Sie war wie ein Neugeborenes oder eher wie ein unausgebildetes, scheues Bewusstsein, ein noch leeres Gefäß. Lediglich die ersten Eindrücke von Gewalt prägten es. Angst, Sehnsucht nach Schutz, Wärme und Liebe beherrschten sie.
    Camilla umschlang das Geschöpf. Mitleid und Zuneigung, das Versprechen einer ewigen Verbindung, tiefer Freundschaft und dem Wunsch, immer zu helfen, brandeten in ihr auf. War das Mutterinstinkt?
    Die Arme der Frau umschlangen sie, als wollte sie in Camilla hineinkriechen. Impulsiv drückte sie die Frau an sich, die noch immer keinen Namen hatte und um die sich niemand wirklich kümmerte. Lag es an ihrem Aussehen, dass die anderen sie mieden? An der Tatsache, dass sie ein Geschöpf aus vielen Frauen war, oder einfach an der Angst vor einem offensichtlichen Fremdkörper?
    Sie lebte, wollte Liebe und Verständnis, wie jedes Geschöpf. Gab es – abgesehen von Nathanael – niemanden, der sich zeitweise ihrer annehmen wollte? Natürlich nicht. Und Nathanael konnte sie nicht ständig bei sich behalten, womit die einzige andere Person, der sie vertraute, kaum Zeit für sie erübrigen konnte. Sie war keine fertige Puppe, keine Persönlichkeit, die schon ausgeprägt war. Damit ergab sich allerdings auch eine unbeschreibliche Chance für Nathanael. Er konnte die Liebe dieser Frau vollständig für sich gewinnen, weil er sie von der ersten Sekunde an aufzog.
    Liebst du dieses große, ungeschlachte Ding mit dem guten Herz?
    Eine instinktive Bestätigung auf ihre Gedanken und Gefühle durchflutete sie.
    Wollen wir versuchen, dass du etwas lebendiger und vertrauensvoller wirst?
    Erneut antwortete die Frau. Sie reagierte nicht auf die Worte, nur auf Camillas Empfindungen hinter den Gedanken.
    Dann fangen wir an, dich menschlicher zu machen, lebendiger und hübscher.
    Auf den Impuls »lebendig« reagierte sie wieder mit einem Gefühl der Glückseligkeit.
    Camilla drückte sie an sich. Es stellte sich nur die Frage, ob sie den Flickenkörper heilen konnte, doch Zuversicht durchströmte sie. Christophs Wunden hatte sie auch schließen können und wenn in diesem Fall Narben übrig blieben, war es sicher nicht schlimm.
    Sie konzentrierte sich auf weiche, warme, reine Babyhaut , das Gefühl, ein solch kleines Kind zu halten, die vollen Rundungen und das weiche Flaumhaar. Es war wie eine Heilung, nicht viel mehr und doch so viel anders als das, was sie mit Chris getan hatte. Sie spürte deutlich, wie sich unter ihren Händen etwas tat, wie aus dem Leichenkörper ein Kind – eine Frau – wurde, die sich eng an sie schmiegte. Weiches, dünnes Haar rieb gegen ihre Wange, als sich der Kopf der Frau drehte.
    Lebe und reife. Sei ein Kind und werde erwachsen, lerne, dass deine Umwelt schön und grausam sein kann, finde deinen Weg und deine Persönlichkeit.
    Mehr zu tun wäre falsch. Camilla hob die Lider und betrachtete die gesunde, rosige Haut und das flaumige, dunkle Haar, das kaum ihren Kopf bedecken konnte. Trotz der Narben war sie schön, ein zierliches, kindliches Wesen mit riesigen, unschuldigen Augen, weichen, leicht offen stehenden Lippen und ungeschickten Bewegungen. Verwirrt sah sie Camilla an.
    »Jetzt bist du vollständig, Kleines.«
     
    Ihre neue Freundin lag zusammengerollt neben Camilla und sah ihr versonnen beim Zeichnen zu. Nathanael lehnte sich in einem Sessel zurück. Er hatte sich wieder beruhigt. So viele Tränen hätte Camilla ihm nie zugetraut.
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