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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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Farbe seines Bartes und fragte mich, weshalb sich die Lady wohl wirklich für diesen Mann entschieden hatte. Schließlich tummelten sich mehr als genug Kopfgeldjäger dort draußen, mit weit weniger hohen Kostenansprüchen. Gewöhnlich fühlte ich, wenn etwas in der Luft lag, oder ich den halbgaren Fraß, den ich im ›Old Frog‹ in mich hineinstopfe, nicht vertrug. Diesmal aber blieb ich erstaunlich ruhig … und das machte mich nervös.
    Schließlich schritt Lady Amaranth, dramatisch ganz in weißen Pelz gekleidet, auf den Hof. Ich betrachtete sie aus der Ferne, wie sie – gleich der Schneekönigin höchstselbst – auf den Lord zutrat. Ich erschauerte vor ihrer eisigen Kraft und Schönheit und wusste, dass mir kein Opfer für sie zu groß sein würde.
    Giniver saß bereits in der ersten Kutsche und trug den Mantel über ihrer Dienstmädchenuniform, drapiert wie einen Kokon. Andere Kleidungsstücke besaß sie seit ihrer Ankunft auf dem Manor nicht mehr. Ich schwor mir, in Deutschland ein damenhaftes Kleid für sie zu erstehen und musste unwillkürlich an ihr totenbleiches Gesichtchen vor drei Jahren denken. Damals floh sie vor den Schlägen ihrer drei grobschlächtigen Brüder, die sich in jenem langen Winter eines zusätzlichen hungrigen Maules auf die steinzeitliche Art entledigen wollten. Vor allem war ihnen zu jenem Zeitpunkt längst das Fleisch ausgegangen …
    Ich erinnerte mich noch haarklein an die heiseren Schreie, die ihr knüppelschwingender alter Herr hinter ihr her brüllte, während sie halb erfroren durch den kniehohen Schnee hinein in den Wilden Wald stolperte, mit nichts am Leib, als einem stark verschmutzten Leinenkleid und Söckchen, die ich sogleich im Feuer entsorgte. So panisch war sie, dass sie es sogar in absoluter Erschöpfung lieber noch mit dem scheinbar verfluchten Wald aufnehmen wollte, als sich in den schmalen Dorfgassen oder auf einem Heuboden zu verkriechen. Erst als sie entkräftet am Rande des Waldes in den gewaltigen Schneewehen vornüberfiel und ich meinen Beobachtungsposten hinter einem der hohen Fenster verließ, flüchteten diese Wilden zurück gen Dorf.
    Ein Ächzen holte mich aus meinen düsteren Tagträumen. Ich zückte ein kleines Opernglas, das ich meist bei mir trug, da man ja nie wissen konnte, wen oder was man beizeiten im Auge behalten musste. Schnell warf ich einen Blick hindurch auf meine Herrin und den Kopfgeldjäger, die einander zugewandt ein Stückchen entfernt standen. Lord Sandy vollführte erneut seinen ungelenken Diener und küsste der Lady Hand. Nur wenige Fragmente ihres Gespräches bekam ich durch den Winterwind mit.
    »… Ihre Fähigkeiten etwas zu zügeln, sofern möglich. Nun denn …« Sie lächelte kalt und entzog ihm eiligst ihre Finger. »Ich erwarte Sie dann in wenigen Tagen zurück.«
    An seiner erfolgreichen Rückkehr zweifelte sie scheinbar nicht. Ich hoffte, diese Ansicht galt nicht auch für Giniver und mich. Dienstboten gab es zwar zu Hauf und Loyalität konnte man ja erneut, falls nötig, erzwingen, doch dank der Fähigkeit, die Wirtschaftssituation aufs meisterlichste zu ignorieren, wurden diejenigen, für die sogar niederste Arbeit lebensnotwenig war, niemals weniger.
    Lord Sandford rauschte nun auf mich zu und eilig stieg ich in die Kutsche, um mir einen guten Platz zu sichern. Der Lord warf seinen Sack in die Gepäckkutsche und ich hoffte für ihn, keinen meiner Koffer beschädigt zu haben. Er benötigte jedoch einige wenige Anläufe mehr, um zu Giniver und mir in die Kabine zu gelangen, bis ich ihn irgendwann seufzend am Revers packte und hineinzerrte.
    Lady Amaranth verabschiedete uns mit keiner Geste. Mein angedeutetes Winken blieb unbeantwortet im Schneeregen hängen. Sie sah uns nach, bis wir hinter einer undurchdringlichen Nebelwand verschwanden.
    Schwermütig sah ich aus dem Fenster hinaus, in das verwackelte Stückchen Welt, das lange meines gewesen war. Mein eigenes, behütetes Stückchen Welt.

    Seit ich mein Buch aufschlug , setzte sich ein Bild in meinem Kopf fest. Ein Bild, das jenem spukenden Haus glich, mit dem mich der Autor von der ersten Seite an bannte. Ich dümpelte durch all die undurchsichtigen und schauerlichen Geschichten, die ich je gelesen hatte. Ob Geistergeschichte oder Detektivroman; stets dominiert von einer grausamen Gestalt im Zwielicht, der Menschlichkeit ebenso ein Gräuel war wie schlussendliche Gnade für ihre armen Opfer. Auch sie tauchten meist an dunklen, abgeschiedenen Orten auf, wohl aus Angst
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