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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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Grafentochter Eirwyn der Schlüssel zum Familienglück der von Waldecks?«, unterbrach Sandy meine wirren Gedanken. Er klang zynisch. Ich starrte auf die Buchstaben, bis sie vor meinen Augen tanzten …
    »Es gab da einen jungen Mann. Er stand in den Diensten des Grafen. Sein Vater lebte bereits im Wald, als das Paar Waldeck und Amaranth hierher zog.« Ich zögerte. »Er war beinahe noch ein Junge, und Eirwyn ein Mädchen von, sagen wir, sieben Jahren. Die beiden haben sich oft zum Spielen getroffen, wenn der Graf an seinen Papieren arbeitete oder ausgeritten war. Man sagte mir, sie hätten sich immer gut verstanden und sind zusammen groß geworden. Als ich in die Dienste der Waldecks treten durfte, war er bereits so alt, wie ich es heute bin. Er hofierte Eirwyn unermüdlich, und wir hatten uns über seinen Stand lustig gemacht. Der Sohn des Jägers und die Grafentochter – sehr amüsant.« Unwillkürlich musste ich an meinen eigenen ›Stand‹ denken, den ich erfolgreich verdrängte. Vom Straßenfegerjungen zum Valet. Gar nicht so übel. »Kurz vor Eirwyns Verschwinden habe ich ihn das letzte Mal gesehen.«
    Ich bemerkte, dass der Lord mich abwartend ansah. Seine dunkelgrauen Augen schimmerten in den ersten Lichtstrahlen, die nun glücklicherweise den Tag erhellten. Ohne es zu merken, waren wir durch den Wilden Wald hindurchgefahren und rumpelten nun den unebenen Pfad hinab. Die Pferde waren wirklich erstaunlich rasant unterwegs.
    »Er hat das Anwesen zur gleichen Nacht verlassen, als Eirwyn verschwand. Jedoch nicht mit ihr, wie man zuerst annahm. Es fehlte keines der Pferde. Ich denke dieser Mann ist dort draußen und auf dem Weg zu ihr. Wir sollten die Augen offen halten. Ich weiß nicht, wer er nun ist. Kenne ihn im Grunde überhaupt nicht.«
    Ich warf dem Lord einen vielsagenden Blick zu. Er wich mir glücklicherweise mit den Augen aus und starrte nach draußen. Ich fixierte ihn noch eine Weile, doch irgendwann gab ich es dann auf, etwas in seinem Gesicht lesen zu wollen. Mich weiterhin Tennysons Gedicht hingeben, konnte ich jedoch nicht mehr, und bald klappte ich das Buch zu. Spinnt hier womöglich ein jeder seine eigenen Fäden? , dachte ich bei mir. Dennoch nahm ich mir vor, ihn nun wirklich nicht mehr aus den Augen zu lassen. »Ich wage zu munkeln, dieser Jäger ist möglichweise der mysteriöse Verbündete des Grafen. Wie auch immer, unser Auftrag steht unmissverständlich fest. Und dabei sollten wir es auch belassen«, meinte ich mehr zu mir als zu irgendjemandem.
    Eigentlich wollte ich mich allzu gern der fiktiven Welt meiner Lektüre zuwenden, wollte nichts weiter tun, als etwas Ruhe genießen. Selbständig darüber nachzudenken, was richtig und falsch war in dieser Welt, zu zweifeln und – schlussendlich – den Zorn der Lady auf mich zu ziehen, gehörte nicht dazu. Meine Unversehrtheit war mir unglaublich wichtig. Was auch immer Lady Amaranth mit ihrem Gemahl und dem geheimnisvollen Empfänger des Briefes getan hatte, oder vielleicht gar mit dem Boten, es war nicht meine Angelegenheit.
    »So muss es wohl sein«, gab er bei und es herrschte endlich Ruhe.
    Allerdings, der immer miserabler werdende Zustand der Straße machte unserem Rückgrat, dem Gefährt und den Kutschern arg zu schaffen. Die Gepäckkutsche blieb prompt in einer Absenkung stecken und wir mussten unseren trockenen, windgeschützten Sitzplatz aufgeben und selbst mit anpacken, um unsere Habe wieder frei zu bekommen. Giniver nahm kurzzeitig den Posten des Kutschers ein und wir Männer schoben mit vereinten Kräften. Derweil schnaufte und stöhnte Sandy ununterbrochen wie ein Zuchtochse. Zu guter Letzt kam er dann auch noch ins Straucheln. Er ruderte mit den Armen und krallte sich ausgerechnet an mir fest. Sein Gewicht zog mich nach hinten, so dass ich ebenfalls um mein Gleichgewicht kämpfen musste.
    »Obacht! Der gute Zwirn! Sie Tollpatsch!« Ich ließ die Kutsche los und packte ihn am Kragen, schließlich wollte ich nicht bis zur nächsten Rast in einem mit Schlamm besudelten Käfig hocken. Selbst die Reserven meiner Geduld waren inzwischen durch das Mistwetter und diesen unsympathischen Hundesohn dahin.
    Plötzlich grinste er mir verschlagen ins Gesicht und flüsterte: »Der feine Herr gibt sich ein wenig zu fein, für meinen Geschmack. Passen Sie auf, dass Sie Ihr Näschen nicht allzu hoch tragen. Hinter Ihrer Arroganz steckt doch sicherlich ein verängstigtes Kind, so wie ich das sehe.«
    Ich hielt inne. Erneut ermahnte ich mich,
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