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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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zerbrechenden Spiegel eines ihrer Tore verschließt. Dennoch werden sie porös und brechen mehr und mehr, denn sie sind ein Teil ihrer einstmals so liebevollen Seele, wie ich glaube. Somit habe ich die Hoffnung, dass auch ihre Kraft irgendwann schwinden wird, bis mein Kind wirklich vor ihr sicher ist. Ich nenne es „Kraft“, da mir keine Wörter mehr einfallen in den letzten Tagen. Nichts passt mehr zusammen … Zauberei mag ich es einfach nicht nennen.
    Mein Kind sollte nie wiederkehren. Deine Aufgabe ist dir bekannt. Du solltest einen guten Vorsprung haben. Meide das Gläserne, wie stets.
    Ich werde müde.
    Gleich kommt die Maid mit etwas Speise und Wasser. Ich verstehe nicht, weshalb sie mich nicht einfach verhungern und verdursten lassen, aber ich glaube, sie will mich nicht selbst sterben lassen. Meine Frau überwacht alles, wartet bis ich die Schüsseln geleert habe. Jeder meiner Fehltritte wird auf gräuliche Weise bestraft. Du kennst ihre Methoden gut …
    Geh nicht durch offene Spiegel. Benetze nicht das Gesicht in klaren Quellen oder Brunnen. Schütze mein Kind.
    Farewell, mein Getreuer. Wenn ich nur wüsste, was sie so rasend macht und so voller Hass. Dabei habe ich sie immer geliebt; stets so sehr ich konnte und mehr.

    Es grüßt dich mit verbleibenden Kräften,
Hektor, Graf von Waldeck

    Der Brief flatterte auf die Dielen des Kutschenbodens. Seine krakelige, meist unleserliche Schrift lag obenauf. Lord Sandy starrte verstört darauf. Ich blickte ihn fragend an.
    »Verstehen Sie dieses Geschreibsel etwa? Er ist wohl verrückt. Der Graf ist verrückt geworden über den Verlust seiner Tochter. Wie es scheint, ist hier ein Komplott im Gange! Lady Amaranth muss umgehend geschützt werden vor einer solchen Verschwörung!«
    Er wollte doch tatsächlich aufspringen, als hätte er völlig vergessen, wo er sich befand, und knallte stattdessen mit dem Kopf an die Kutschendecke. Das ganze Gefährt schwankte unter dieser ungestümen Bewegung wie ein Rinderschwanz. Um nicht die Reise in einem verschlammten Graben beenden zu müssen, packte ich ihn am Schlafittchen und zog ihn zu mir heran. Meine Geduld war nahe daran, sich endgültig zu verabschieden.
    Mühsam beherrscht und meines Standes als Valet angemessen schnaubte ich: »Glauben Sie allen Ernstes, die Lady wüsste nicht, was vor sich geht! Dass nur Sie allein in der Lage sein könnten, diesen Brief zu verstehen? Sie total verblödeter Hanswurst! Und jetzt setzen Sie sich wieder hin!«
    Ich hatte den Brief selbst mehrere Male gelesen und war wieder und wieder zu dem Entschluss gekommen, dass der Graf täglich seniler zu werden schien. Einmal sogar schlich ich bis zu seinem Gemach, um mich selbst zu überzeugen. Giniver ertappte mich beim Horchen an der Tür und ließ mich ein, um dem Abendessen beizuwohnen. Inzwischen handelte es sich eher um die Fütterung des einst so starken Mannes. Er war niemals ein imposanter Herr gewesen, jedoch schlank und majestätisch mit einem harten, kantigen Gesicht und gütigen, dunklen Augen. An jenem Abend lag Hektor von Waldeck tief eingesunken in Kissen und Decken. Er starrte etwas über sich interessiert an. Ich entdeckte nichts, als ich seinem Blick folgte, lediglich den riesenhaften, zitternden Schatten Jezabels an der Decke, die auf einem dicken Bilderrahmen über ihm kauerte. Giniver fütterte den Kranken sanft, der nun scheinbar abwartend auf ein Stück von einem Spiegel schielte, das auf dem Tableau lag. An jenem Abend konnte ich keine Schnitte oder Verletzungen entdecken, die den Grafen quälen sollten. Ich fragte Giniver nach der Scherbe und sie antwortete mir, dass der Graf sie wohl einmal anzugreifen versucht hätte und die Lady auf eine Schutzmaßnahme bestand. Zwar konnte ich mir den Herrn nicht als handgreiflich vorstellen, doch glaubte ich Giniver stets. Die Lady hatte alles getan, um dem Grafen zu helfen, mit ihrem heilkundigen Wissen.
    Niemals fand ich, dass etwas an dieser Geschichte nicht stimmte. Bis heute habe ich sie viele Male durchdacht, jedoch natürlich immer aus derselben Perspektive – aus meiner. Zusammen mit jenem Brief ergaben sich lediglich fragmentarische Variablen, die mich sogar im Grunde meines Herzens an den Absichten meiner Herrin zweifeln ließen. Nun, da ich die Schrift aufhob, um sie vor der Feuchtigkeit unserer Stiefel zu schützen, kam mir plötzlich alles so … nun … falsch vor. Wie die verklärten Schatten in dem Buch meines Vaters.
    »Und was denken Sie, Van Sade? Ist die
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