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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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einen mit uns, na los«, forderte ich den Lord auf und nahm mir vor, es heute entgegen besseren Wissens zu übertreiben.
    »Nein«, brummte er und würdigte das Gefäß kaum eines Blickes.
    »Auch gut.«
    Ich zog beide Pints zu mir. Den ganzen Abend schon hatte er weder getrunken, noch einen genaueren Blick auf die Umgebung um sich herum geworfen. Ich lächelte still in mich hinein, ob dieses schmollenden Edelmannes, und hielt mich nicht weiter mit Hinterfragungen auf. Jezabel war ein einziges Mal kurz vor Sonnenuntergang am Himmel aufgetaucht, nur um so weit oben zwischen den dicken Wolken zu verschwinden, dass ich sie mit bloßem Auge nicht mehr entdecken konnte. Im Nachhinein – vielleicht war es auch nur ein Hirngespinst.
    Alle, außer Sandford, bestellten wir eine Portion Abendbrot aus lauwarmem, bröckeligem Porridge. Angewidert schob ich den Teller von mir und würgte.
    Sandford sah mich plötzlich missbilligend unter buschigen Brauen hervor an. »Ich war in Ländern, da kratzten die Menschen Insekten von den Felsen, um nicht zu verhungern. Diese Menschen hatten gar nichts zu essen, sie darbten ihr Leben lang.«
    Ich wischte mir den Mund mit dem Handrücken ab. »Die Glücklichen.« Auch ich hatte als Kind von nahezu nichts gelebt, doch selbst meine Mutter hatte besseren Stampf fabriziert.
    Er grunzte und wir wünschten uns nach dem Ekelmahl einander eine gute Nacht, nicht ohne uns zum Haferbreifrühstück im Morgengrauen zu verabreden. Ich führte Giniver in unser gemeinsames Zimmer, ohne noch einmal auf Lord Sandys anzügliches Grinsen zu reagieren, das urplötzlich zurückgekehrt war. Wir kuschelten uns in dem brettharten Bett zusammen, das den dünnen Bezügen der Kutsche ebenbürtig war, und schliefen bald erschöpft und mit schmerzendem Rückgrat ein.

    Rhythmisches Klopfen setzte in der Mitte der Nacht meinem leichten Schlaf ein Ende. Nicht nur, dass ich ohnehin nicht dafür gemacht war, außerhalb meines eigenen Bettes zu schlafen, hielt dieser Lärm noch zusätzlich jede Art von Schlaf von mir fern. Eilig zog ich meinen Mantel über, öffnete die Zimmertür einen Spalt und betrat vorsichtig den dunklen Flur. Beinahe sofort bemerkte ich im Dunkel einen Schemen zu meiner Linken in einer der kleinen Nischen kauern. Es wiegte sich stetig hin und her. Immer wenn es seinen schweren Kopf gegen die Wand stieß, krachte es dumpf. Wieder und wieder, in einem Rhythmus, der zu anderer Tageszeit zum gemütlichen Tanz aufgefordert hätte. Vorsichtig näherte ich mich und schob meine Hand langsam zwischen den dicken Kopf und die teilweise noch mit billigem Ornamentpapier tapezierte Wand. Kalt und feucht knallte er in meine offene Handfläche. Dann brach das Schaukeln abrupt ab. Ich erkannte einen wuchtigen Körper, drehte den dazugehörigen massigen Kopf ein wenig und sah in die grauen Augen des Lords, nebelverhangen und dumpf wie das Pochen seines Schädels. Er blickte zu mir auf – die Augen aufgerissen und blutunterlaufen. Sein Mund war verzerrt und stand weit offen.
    Langsam ging ich in die Knie, nahm seinen Schädel in beide Hände. »Was ist denn mit Ihnen passiert?«, wisperte ich.
    Er schüttelte nur den Kopf.
    »Reden Sie, Mann!«, forderte ich ihn auf. Stattdessen ließ er sich in meine Arme sinken, um wie eine gescholtene Magd zu heulen. Ich war natürlich äußerst angewidert von dieser grotesken Situation, gestattete ihm jedoch einen Augenblick und versuchte es dann erneut.
    »Reden Sie, Sandford. Zum Henker, Sie wecken noch diese ganze Scheune hier auf.«
    Endlich sah er mich an und nicht nur durch mich hindurch. »Was tut sie nur?«, brachte er schließlich hervor.
    Ich schüttelte den Kopf, versuchte mich in Geduld; keine meiner Stärken.
    Plötzlich packte er fest meine Arme, so dass ich mich ihm nicht entwinden konnte. »Van Sade, hören Sie mir zu! Ich sehe … Augen … seit Tagen schon … diese grässlichen roten Augen! … in jeder Quelle, jedem Fluss … sie starren mich an und treiben mich weiter, auch wenn ich doch nicht kann. Wie soll ich denn … sogar in meiner Waschschüssel!«
    Ich ließ seinen Kopf los. Wie vermutet, hatte meine Lady bereits mit ihrer Observierung begonnen. Vertrauen gehörte bei ihr noch nie in einen Arbeitsvertrag. Hatte es nie, nicht einmal mir gegenüber, obwohl ich schon lange ihr engster Vertrauter war, oder so. Sie beschattete uns alle, und den Lord bereits seit unserer ersten Rast im Wald. Ich nahm mir vor, weiterhin nach Jezabel und ihren Spionaugen
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