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Glaenzende Geschaefte

Glaenzende Geschaefte

Titel: Glaenzende Geschaefte
Autoren: Katharina Muenk
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einem Gegner aus Fleisch und Blut und vor allem freier Wahl der Waffen.
    Nach weiteren zehn Minuten riss er sich die Maske vom Kopf, ging zu einem der Elemente der durchgehenden Fensterfront, zog die Jalousie hoch und öffnete das Fenster. Eine frische Brise wehte herein, die Luft war feucht und roch nach Kräutern, und Löhring pumpte seine Lungen voll damit. Durchzug. Auch innerlich. Irgendwo bimmelte eine Schafherde. Er hob den Blick und betrachtete die Gipfelkette, die man hier praktisch aus jedem Fenster sah: schroffe Felsstrukturen mit Schneeresten in den Spalten, Wolken dazwischen, dann weiter unten dunkle Fichtenwälder, über denen Nebelschleier lagen. Die reinste Chippendale-Landschaft. Von seiner Suite aus hatte er sie stets durch große Panoramafenster vor Augen, und schon beim ersten Augenaufschlag brannte sich einem der Berg durch die Vorhänge hindurch ins Hirn wie die DAX-Eröffnungskurve.
    Gut Meinberg lag auf einer kleinen Anhöhe, ein gründerzeitlicher Hauptbau aus ochsenblutrotem Fachwerk in der Mitte und einigen modernen Anbauten, deren Ausstattung dem Hotel den fünften Stern eingebracht hatte. Man warb damit, ein »Cultural Hideaway« zu sein – eine recht mutige Umschreibung der Tatsache, dass der nächste kleine Ort etwa einen Zweistundenmarsch querfeldein entfernt war. Keine Bahnstrecke führte hier hoch, nur eine schmale, mautpflichtige Privatstraße. Es war wenigerwahrscheinlich, dem Dorfbäcker über den Weg zu laufen als dem mit etwas Pech ebenfalls vor Ort urlaubenden Aufsichtsratsmitglied. So konnten einhundert Quadratmeter Hotellobby tatsächlich zum Hideaway werden, je nachdem, wen man da gerade beim Einchecken erspähte. Es ließ sich andererseits recht gut aus dem Wege gehen, denn es gab mehrere Restaurants, verschiedene Bibliotheken, im Notfall eiskalte Tauchbecken im Außensaunabereich, in die sich sonst niemand traute.
    Löhring persönlich war das hier alles ein bisschen zu viel Wellness: Raumaromen, die den Geist umnebelten und einem noch nachts in der Nase hingen, an jeder Ecke überflüssige Deko, Windlichter, bestimmt Hunderte von unrentabel vor sich hin flackernde Kerzen, blubbernde Getränkespender, eine Armee herumhockender Buddhas vor deutscher Hochgebirgskulisse und kleine Kärtchen auf dem Kopfkissen, auf denen Dinge standen wie: »Sleep is the best meditation«. Aber kein einziger Feuerlöscher weit und breit. Man riskierte mitunter, gar nicht mehr aufzuwachen. Unten auf der Kiesauffahrt hielten Geländewagen und entließen junge Familien mit lärmenden Kindern oder einfach nur langweilige Menschen mit dünnen Steppjacken und Hornbrillen. So veränderte man nicht die Welt. So nicht. Ja, hier hätte man einiges auf Vordermann bringen können, fand Löhring. Doch deswegen war er nicht hier. Dieses Mal nicht.
    Eigentlich hatte er sich dieses Wochenende auch gar nicht ausgesucht, und dass die Wahl gerade auf eine solche Luxushütte gefallen war, um ein paar Gespräche mit ihm zu führen, sah eher nach Ablenkungsmanöver aus. Es war überhaupt ein Affront gewesen, ihm, Löhring, eine solche Maßnahme anzubieten. Nicht nur Massagen, Gummimatte und Qui Gong, sondern nun auch noch Coaching. Ein verdammter Affront. Geistige Magenspiegelung sozusagen. Unverschämtheit. Alles Angsthasen. Risikovermeider, Weicheier. Aber es gehörte wohl zum Anforderungsprofil seines Jobs, so etwas souverän und ohne die geringste emotionale Verstrickung wegzustecken.
    Miranda Beck hatte es getan. Um 16.10 Uhr laut Digitalanzeige auf dem Telefon. Nach all den Jahren war es letztendlich doch recht spontan über sie gekommen. Es war auch höchste Zeit für eine Veränderung gewesen, denn die Arthritis hatte sich bereits auf die Knochen, Knorpel und Bänder gelegt, besonders an der linken Hand, die, so wurde ärztlich befunden, mit fünfundfünfzig Prozent aller PC-Anschläge stärker belastet war als die rechte. Allein der linke Mittelfinger hatte zwanzig Prozent aller jemals getätigten Tastendrucke hinter sich. Mit den Zeichen, die allein er in all den Jahren in die Welt getippt hatte, hätte man Schloss Sanssouci mit Papier auslegen können. Diagnose: Burnout der Fingergelenke. Ja, auch Finger besaßen ein Gedächtnis. Sie hatte es nicht nur aus gesundheitlichen Gründen getan, sondern vor allem aus Wut und aus der Befürchtung heraus, irgendwann in zwanzig Jahren zurückzublicken und sagen zu müssen, nichts gewagt zu haben, nichts unternommen zu haben außer einer Busreise durch den
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