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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition)
Autoren: Siegfried Kracauer
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daß wir erträglichere Bedingungen erhalten hätten, wenn die Revolution später ausgebrochen wäre. Ich halte sie für ein Unglück. Du mußt sehen, daß Du zu Hause gleich etwas verdienst. Packe Deine Sachen gut zusammen. Für die Bücher wirst Du eine Holzkiste brauchen.« Unter NB.: »Denke Dir, Bankdirektor Luckenbach ist am ersten Tag der Revolution mit seiner Frau in die Schweiz gereist. Auf Nimmerwiedersehen vermutlich.« – Ob er auch die beiden anderen Hunde mitgenommen hat, fragte sich Ginster. Adieu, Peter. Tags darauf meldete er sich beimStadtbaurat und teilte ihm in einem genau vorbereiteten Satz seinen Entschluß zum sofortigen Austritt mit. Ein Absageschreiben, das sich selbst verlas. Der Stadtbaurat erzeugte einen künstlichen Nebel um sich, der ihn verhüllte. Immer tiefer fiel Ginster in das Schweigen hinein.
    »Es ist ja kein Krieg mehr … Nicht so, als ob ich mich über die Tätigkeit hier beklagte, aber zu Hause sind vielleicht unsichere Zeiten, ich wünschte es jedenfalls … Meine Mutter nämlich …«
    Er hätte sein ganzes Leben erzählt, wären nicht aus dem Nebel schwere Brocken auf ihn niedergeprasselt. Die Denkschrift, Menschenskind, Sie müssen zuerst die Denkschrift beenden. Der Stadtbaurat schleuderte sie mit solcher Wucht gegen Ginster, als werde er noch von der halben Milchkuh ernährt. Besonders gut gezielt war der Hinweis auf die gesetzliche Kündigungsfrist. Er erfolgte um so unerwarteter, als das Stadtbauamt nach Ginsters Meinung nur den Zweck gehabt hatte, ihn vor den Schlachtfeldern zu behüten. Daß es ohne Krieg fortbestehen könne, war ihm noch niemals bewußt geworden. Immerhin fühlte er sich durch die eigene Unentbehrlichkeit etwas erhöht, wenn sie ihm auch im Augenblick zum Schaden gereichte.
    »Aber ich habe doch eben Revolution«, fuhr es aus ihm heraus. Er wollte sich selbst ermutigen. Hartnäckig weiter: »Mir ist ein Redakteur bekannt, an den ich mich wenden werde …«
    Noch im Sprechen wurde ihm die Lächerlichkeit der Drohung klar. Ich sage es dem Redakteur unserer Zeitung, hatte einmal sein Großvater während einer Theateraufführung zum Gelächter des Publikums laut in den Zuschauerraum gerufen, weil ihm seiner Schwerhörigkeit wegen das Stück unverständlich gewesen war. Offenbar hatte er, Ginster, sich eben von der oft erzählten Familiengeschichte widerstandslos überrumpeln lassen. Nicht selten wurde er einfach vertauscht. Es dröhnte, der Stadtbaurat war näher gerückt.
    »Meinetwegen also. Mit Gewalt anbinden will ich Sie nicht.«
    Wann Ginster zu reisen gedenke? Übermorgen. Er möge dem Stadtbaurat morgen abend noch das Vergnügen machen. Die Erwähnung des Redakteurs hatte mithin doch ihre Wirkung erzielt. Im Haus des Stadtbaurats prahlten die Möbel mit ihren ausladenden Gesimsen. Gewundene Säulen über Lebensgröße, auch die Frau war ein Eichenstück. Es mußte ein Streit stattgefunden haben, denn während des Essens benahm sie sich stumm und massiv. Überall wurde Ginster in Kriege verwickelt. Er unterhielt sich so vorsichtig, als ob er auf Zehen ginge, um nicht durch eine Ungeschicklichkeit das riesige Mobiliar in neue Kämpfe zu stürzen. Die Stuhllehnen wuchsen mit den Deckenkassetten zusammen, der Stadtbaurat war ein ganzes Rübenfeld. Sofort nach Tisch entfernte sich die Frau; hell gebeizt, geradeaus, hart. »Ich habe ein paar Flaschen Porter gehamstert«, erklärte der Stadtbaurat, »echten englischen Porter.« Nun darf ich dem Redakteur nichts mehr sagen, dachte Ginster beim ersten Schluck. Aus Höflichkeit weiter getrunken. Das Doppelbier lähmte ihn völlig, so doppelt, als werde er seekrank. Schwerfällig stapften die Möbelkerle hin und her, die Lehne des von der Frau verlassenen Stuhls schaukelte leicht. Undeutlich spürte er, daß er Sätze umwarf, die er selbst aufzurichten suchte. Über die Säulen, mit denen er sich zu winden begann, rieselte geschnitztes Weinlaub herab. An den Ranken hielt er sich notdürftig fest. »Wie glauben Sie, daß sich die Revolution fortwinden wird?« hörte ersich von fern fragen. Der Stadtbaurat schwang sein Glas, erdrückte die Säulen wie Schlangen und fegte das Möbelzeug in den Schatten zurück. Höher und höher türmte er sich über dem Flaschenmagazin, ein unbändiger Erdkoloß, kaum konnte Ginster noch dem Glas folgen, das durch die Lüfte emporfuhr, bis es schließlich in einem rotblonden Gebrüll verschwand.
    »Das Lumpenpack«, donnerte es aus den Kassetten, »glaubt uns wegjagen zu
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