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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE
Autoren: Thomas Müller
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ihnen wahrscheinlich tausend kleine Geschichten erzählen konnte, von Sonne, Wind, Wetter, Frost, Nebel, naturfarben gegerbt, und die Menschen in ihrem Inneren schützend. Mag es am Sturm gelegen sein, an den waagrecht daherfliegenden Schnee- und Eiskristallen oder auch an der Uhrzeit, das kleine Dörfchen schien wie leer gefegt. Niemand, der sich auf die Straße gewagt hätte. Da und dort ein kleines beleuchtetes Fenster, eine rasch vorbeihuschende Gestalt, nicht zu erkennen, ob Mann oder Frau. Die scheinbaren Nebelschwaden, die sich aus den Kaminen für ein paar Meter ersichtlich zeigten, deuteten nur näherungsweise an, dass die Öfen im Inneren der Häuser ständig unter Feuer gehalten wurden, um dem Frost, der so unbarmherzig kriechenden Kälte, zumindest in ein paar Zimmerchen der alten Holzhäuser den Garaus zu machen. Ich stolperte über einen kleinen Holzsteg, der ein kleines Bächlein überquerte. Nur an manchen Stellen ließ das durchsichtige Eis erkennen, dass darunter auch tatsächlich etwas Wasser floss. Aber die Schneewechten, die sich hinter manchen Steinen bereits bildeten, waren gefährliche Vorboten für all jene, die glaubten, das Bächlein überqueren zu können, ohne den Steg benützen zu müssen. „Steig nie in den Schnee, der höher ist als die Umgebung“, hieß es in jener Gegend, wo ich aufgewachsen war. „Du weißt nicht, was sich darunter verbirgt. Ein Stein, ein Hohlraum oder einfach nur lockerer Schnee.“ Dieser Gedanke blitzte kurz in meinem Kopf auf, als ich abermals einen steilen Anstieg nach oben hechelte.

zwei
    Ein Holzhaus mit steinerner Außenwand, gefährlich nahe am Bächlein gebaut, musste eine alte Mühle gewesen sein. Ein geschnitztes Hungertürmchen mit einer wahrlich eingefrorenen Glocke, deren Geläute bei diesen Temperaturen wahrscheinlich nicht einmal ein kurzes Aufjapsen des Winterwindes hätte übertönen können. Extrem kleine Fenster erinnerten daran, dass man früher einfach pragmatischer gebaut und keinen großen Wert auf Licht und Ausblick gelegt hatte, sondern schlichtweg auf das Erhalten der Wärme innerhalb des Holzhauses. Teilweise Moosbüschel, die zwischen den Holzbalken wahrscheinlich von hungrigen Spatzen hervorgezupft waren, um auch in den kältesten Winternächten noch ein paar kleine Körnchen zu finden. Allein die Verwendung dieses einzigartigen Dämmmaterials war Zeuge dafür, wo ich mich derzeit befand. Mitten in den Alpen, an einem wahrlich historischen Ort. Plötzlich, rechter Hand, eine hünenhafte, archaisch wirkende Steinmauer. Sie überragte das darunter stehende Haus und zeigte mir an, dass ich auf dem richtigen Weg war. Neigte ich nicht in meiner unkontrollierten Hektik bereits dazu, die eine oder andere Böe meines Freundes als Gejammer, Geheule oder Gewimmer zu interpretieren? Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, ich musste weiter und den richtigen Ort finden. Vor mir lagen flache Stufen, teilweise schneebedeckt und durchsichtig vereist. Selbst mein grobes Schuhwerk konnte keinen Halt auf dem alten Holz finden. Ich glitt aus, fiel hin und krachte mit dem Gesicht in eine kleine Wechte, die meinen Fall zwar abbremste, mich jedoch in einen Schneemann verwandelte. Jetzt aber zeigte sich mein Freund von seiner abgewandten, von seiner stürmischen Seite. Mit kräftigen Böen tauchte er in den losen Schnee ein, wirbelte ihn trichterförmig nach oben und verstellte mir teilweise gänzlich die Sicht. Ich tastete mich entlang der Mauer nach oben, noch vier, fünf flache Treppen, bis sich ein kleiner Durchgang nach rechts öffnete. Er war eingesäumt von zwei riesigen Pappeln, die sich knarrend dem Wind entgegenstellten. Die wenigen welken Blätter, die noch dem herbstlichen ungestümen Benehmen des Windes standgehalten hatten, rauschten und tanzten ganz und gar nicht. Sie schlugen eher wie kleine Hölzchen aneinander, so als ob sie mir den richtigen Weg markieren würden. Der Weg wurde flacher und die Begrenzungsmauer, von der nun nicht einmal ein Meter sichtbar war, umgrenzte eine kleine Wiese, die wiederum die äußere Umrandung eines wuchtigen Gebäudes abschloss. Das musste es sein. Ich stürzte auf die Türe zu, die sich mir mehr wie ein bewehrtes Portal ausnahm. Abermals aus altem Holz geschnitzt, mit wuchtigen Eisennägeln befestigt, stieß ich sie auf und ließ mich fast in das Innere fallen. Als ob ich mit dem Aufstoßen der hölzernen Türe den Wind eingeladen hätte, mit mir einzutreten, tanzte er fauchend, Schneeflocken
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