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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Arne Dahl
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Die größere Bombe, die Tebaldi getötet hat, war dem Bericht zufolge an Sorridentes Körper festgeklebt. Il Sorridente und Il Ricurvo wurden ebenfalls in die Luft gesprengt, aber sie waren laut Analyse bereits tot. In dem ausgebrannten Schloss wurden nur die DNA-Spuren der vier Toten gefunden.«
    Â»Sie haben alles darangesetzt, um ihre Spuren zu vernichten«, sagte Hjelm.
    Â»So muss man die Sache wohl sehen«, stimmte Bruno zu und hielt einen Aktenordner hoch. »Das hier ist unsere einzige Spur.«
    Hjelm sah auf den Ordner und meinte, einen runden Kreis darauf zu erkennen. »Der Abdruck eines Kaffeebechers?«, fragte er.
    Â»Ich glaube, es handelt sich um ein Zeichen von Tebaldis einzigem ehemaligen Kollegen, dem er vertraut hat. Offenbar war es eine Fehleinschätzung.«
    Â»Ganz zu schweigen von meiner Einschätzung«, sagte Paul Hjelm.
    Â»Deiner?«
    Â»Ich hätte Tebaldi natürlich niemals fahren lassen dürfen. Und vor allem hätte ich nicht zulassen dürfen, dass er Potorac mitnimmt.«
    Â»Stimmt es, dass sie eine kleine Tochter hat?«
    Â»Ja«, antwortete Hjelm. »Die kleine Nadia. Wie fürchterlich.«
    Â»Wenn dir das ein Trost ist – keiner von uns hätte anders gehandelt«, sagte Donatella Bruno.
    Hjelm ließ seinen Blick über die Kathedrale schweifen, deren hintere Hälfte von der Dunkelheit verschluckt wurde. Er hatte den Eindruck, dort würde sich etwas bewegen.
    Â»Gibt es noch etwas, das du dem hinzufügen möchtest?«, fragte er.
    Â»Ich weiß nicht, ob dem überhaupt noch etwas hinzuzufügen ist«, antwortete Donatella Bruno.
    Dann verschwand sie in einem bläulichen Blitz.
    Paul Hjelm saß vollkommen reglos da und starrte in die Dunkelheit. Er hatte den Eindruck, als wimmelte es dort hinten im Dunklen nur so.
    Dann begann er zu weinen.

Nach Hause kommen
Peking, 16. April
    Je näher der Landeanflug rückte, desto stärker machte sich ein eigenartiges Gefühl in ihr breit. Es war nicht das angenehm weiche Gefühl, endlich nach Hause zu kommen, aber auch nicht das Gegenteil, auch nicht die Angst angesichts der Gefängnismauern, die sich vor einem auftun. Es war ein drittes Gefühl, ein sehr schwer zu definierendes. Das Gefühl, bei der Rückkehr den Boden eines anderen Landes zu betreten als beim Aufbruch. Das Gefühl, dass jeden Augenblick alles Mögliche passieren konnte. Das Gefühl, im bevölkerungsreichsten Land der Welt zu sein, wo unglaublich viele Dinge geschehen, die schwer zu verstehen oder deren Konsequenzen schwer vorhersehbar sind.
    Sie stand auf und schob sich durch den engen, mit Gepäckstücken zugestellten Korridor in Richtung Ausgang. Sie ging die Gangway des Flugzeugs hinunter und setzte sich auf den letzten freien Platz im Flughafenbus. Am Gepäckband wartete sie auf ihre Tasche. Es war merkwürdig, die Gesichter zu beobachten. Die Gesichter ihrer Welt. Die Gesichter ihrer Kindheit. Und doch auch wieder nicht. Sie waren ihr so fremd.
    Als wäre eine fremde Macht in ihr Land eingedrungen.
    Ihre Tasche kam. Die große rote Reisetasche. Wo sie überall schon gewesen war. Gekauft in Bengbu vor einer Ewigkeit. In einem völlig anderen Leben.
    Damals waren sie noch zu viert gewesen. Eine richtige Familie.
    Ihr Mann war eines Tages mit der Tasche nach Hause gekommen und hatte gesagt, dass sie es sich jetzt leisten könnten, ins Ausland zu fahren, alle vier. Sein neuer Arbeitsplatz in der Fabrik. Ihre feste Arbeitsstelle als Lehrerin. Jetzt würde es möglich sein. Die Jungs wuchsen heran. Ihre finanzielle Situation wurde von Tag zu Tag besser. Ihr Lebensstandard stieg stetig. Ihre Lebensqualität nahm laufend zu. Alles war auf dem richtigen Weg und verhieß eine bessere Zukunft.
    Es kam vor, dass sie, wenn sie zu Hause war, plötzlich innehielt. Wie verhext stand sie dann vor der großen roten Reisetasche. Was sie alles in sich barg. All die Versprechen.
    Das Enkelkind der Kulturrevolution.
    Wer verschwendete schon einen Gedanken an Demokratie? Wer dachte schon daran, dass sich mit verbesserten Ausbildungsmöglichkeiten und steigenden Löhnen noch etwas anderes weiterentwickeln müsste? Wer dachte schon an die Unantastbarkeit der Menschenwürde?
    Wer hatte denn dazu Zeit?
    Alles war im Fluss. Die Entwicklung ging wie im Schnelldurchlauf voran. Man wollte mit dem Rest der Welt mithalten. Etwas erreichen. Genau wie alle
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