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Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Titel: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Autoren: Marshall B. Rosenberg
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Ganze erst richtig erfassen, können auch durch Schweigen ausgedrückt werden, durch eine hohe Qualität der Präsenz oder auch durch den Gesichtsausdruck und die Körpersprache. Die Dialoge „Gewaltfreie Kommunikation in der Praxis“, die Sie gleich lesen werden, sind notwendigerweise gestraffte und gekürzte Fassungen von echten Gesprächen, in denen die Augenblicke schweigender Empathie, Geschichten, Humor, Gesten usw. zu einem natürlicheren Fließen zwischen zwei Menschen beitragen, als es möglicherweise in der gedruckten Fassung zum Ausdruck kommt.
Einmal präsentierte ich die GFK in einer Moschee im Flüchtlingslager Deheisha in Bethlehem vor etwa 170 palästinensischen, männlichen Moslems. Die Haltung der Palästinenser gegenüber Amerikanern war zu der Zeit nicht gerade freundlich. Während ich redete, merkte ich plötzlich, wie eine Welle gedämpfter Aufregung durch die Menge ging. „Sie flüstern, daß du Amerikaner bist!“ warnte mich gerade mein Übersetzer, als ein Mann aus dem Publikum auf die Füße sprang. Er sah mir direkt ins Gesicht und schrie aus vollem Hals: „Mörder!“ Augenblicklich fiel ein Dutzend Männer mit ihm in einen Chor ein: „Attentäter!“, „Kinderkiller!“, „Mörder!“.
Glücklicherweise war ich in der Lage, meine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was der Mann fühlte und brauchte. In diesem Fall hatte ich einige Anhaltspunkte: Auf meinem Weg in das Flüchtlingslager hatte ich mehrere leere Tränengaskanister gesehen, die in der Nacht zuvor in das Lager geschossen worden waren. Auf jedem Kanister stand deutlich lesbar die Aufschrift „Made in USA“. Ich wußte, daß die Flüchtlinge viel Ärger gegen die Vereinigten Staaten aufgestaut hatten wegen der Versorgung Israels mit Tränengas und anderen Waffen.
Ich sprach zu dem Mann, der Mörder zu mir gesagt hatte:
Ich: Ärgern Sie sich, weil Sie möchten, daß meine Regierung ihre Mittel anders einsetzt? (Ich wußte nicht, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag, entscheidend ist jedoch mein ernst gemeinter Versuch, mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen in Kontakt zu kommen.) 
Er: Verdammt nochmal, ja, ich ärgere mich! Sie glauben, wir brauchen Tränengas? Wir brauchen eine Kanalisation und nicht euer Tränengas! Wir brauchen Wohnungen! Wir brauchen ein eigenes Land! 
Ich: Sie sind also wütend und hätten gerne Unterstützung, um Ihre Lebensbedingungen zu verbessern und auch für Ihre politische Unabhängigkeit? 
Er: Wissen Sie, wie es ist, hier 27 Jahre lang zu leben, so wie ich mit meiner Familie – Kindern und allem? Haben Sie auch nur den blassesten Schimmer, wie das die ganze Zeit für uns ist? 
Ich: Das klingt so, als wären Sie sehr verzweifelt und würden sich fragen, ob ich oder jemand anders wirklich verstehen kann, wie es ist, unter solchen Bedingungen zu leben. 
Er: Sie wollen das verstehen? Sagen Sie, haben Sie Kinder? Gehen die zur Schule? Haben sie Spielplätze? Mein Sohn ist krank! Er spielt in offenen Abwässern! In seiner Klasse gibt es keine Bücher! Haben Sie schon mal eine Schule gesehen, die keine Bücher hat? 
Ich: Ich höre, wie weh es Ihnen tut, Ihre Kinder hier aufzuziehen; Sie möchten, daß ich verstehe, daß Sie wollen, was alle Eltern für ihre Kinder wollen – eine gute Ausbildung, Möglichkeiten zum Spielen und in einer gesunden Umgebung aufwachsen ...
Er: Stimmt genau, die Grundbedingungen! Menschenrechte – nennt Ihr Amerikaner es nicht so? Warum kommen nicht mehr von euch hierher und schauen sich an, welche Art von Menschenrechten Ihr uns bringt! 
Ich: Sie hätten gerne, daß sich mehr Amerikaner über das Ausmaß des Leids hier klar werden und sich die Konsequenzen ihrer politischen Entscheidungen genauer überlegen?
Unser Dialog ging noch weiter; er brachte fast zwanzig Minuten lang seinen Schmerz zum Ausdruck, und ich hörte auf die Gefühle und Bedürfnisse hinter jeder Aussage. Ich stimmte nicht zu und lehnte nicht ab. Ich nahm seine Worte auf, aber nicht als Angriffe, sondern als Geschenke eines Mitmenschen, der bereit ist, sein Innerstes und seine tiefe Verletzlichkeit mit mir zu teilen.
Sobald sich der Mann verstanden fühlte, konnte er mir zuhören, als ich den Grund meiner Anwesenheit im Lager erläuterte. Eine Stunde später lud mich derselbe Mann, der mich Mörder genannt hatte, zu einem Ramadan-Essen nach Hause ein.

|2|  Wie Kommunikation Einfühlungsvermögen blockiert
    Verurteile nicht, und du wirst nicht verurteilt werden. Denn wenn du andere
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