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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten
Autoren: Clemens Meyer
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ich habe natürlich gewusst, was los war mit dem Steinmeier und den fünf Jahren, von denen er noch gar nichts gesagt hat, beugt er sich also zu mir vor und flüstert sehr schneidend, mir direkt ins Gesicht: »Ein Hund ist der Steinmeier, hat ihn dort sitzengelassen, hat ihn verrotten lassen, dieser Hund!« Und dann blickt er sich um, ein wenig erschrocken fast, blickt nach oben, wir sitzen ja direkt unter der Öffnung, als würde der BND hinter den Geländern lauern. Und ich sage: »Sei froh, dass der Hund ihn dort hat schmoren lassen, sonst hätten wir keinen Film«, nein, ich denke es bloß und blättere die Mappen durch,
die er irgendwo aus dem Inneren dieses Bahnhofs geholt hat, könnt ihn ja fragen, aber jetzt erzählt
er
, Herz der Finsternis, der Fall K., wie ein junger Mann in die Mühlen gerät, oder besser gesagt zwischen die Mühlsteine,
in den Stein
, so habe ich es mal genannt in einem angefangenen Buch, wenn man hinter Gitter kommt, in den Stein (das ist österreichischer Slang und kommt daher, weil im Vorort Stein der Stadt Krems ein riesiger Knast ist), aber das, was er jetzt erzählt, hat nichts, aber auch gar nichts mit einem normalen Knast zu tun, das Reich der Verschwundenen, Jahre in einem kleinen Käfig wie ein Tier. Und ich blättere in den Mappen, Stimmen aus dem Dunkel, und höre ihn flüstern direkt neben meinem Ohr. Er scheint alle Details genau zu kennen, die exakte Beschaffenheit der Lager, die Dauer der Folter, die Zeiten der Essensausgabe, die Dienstgrade der Wachen, und ich denke, dass das doch – Schnitt.
     
    Ein Mann läuft durch eine Halle. Die Wände aus Stahl, der Boden aus Stahl. Ein gewaltiges Stampfen von irgendwoher, die Bodenplatten scheinen sich zu bewegen, heben sich, Dampf tritt aus, und der Mann wechselt die Richtung. Die Decke senkt sich, Wände verschieben sich, große Zahnräder werden sichtbar und Gestänge wie in einem Getriebe, das bewegt sich und bewegt den Mann und die Räume, er wird mitgerissen, der Boden wie ein Laufband jetzt, er sieht, während er versucht, auf eine sichere Plattform zu kommen, dass es noch weitere Ebenen gibt, über ihm, seitlich versetzt unter ihm, Ebenen, die sich im Rhythmus dieses dumpfen Stampfens in einem kaum überschaubaren Raum bewegen, und da scheinen noch andere Menschen zu sein, die sich in der Maschine abmühen, so wie er; er sieht spiralförmige Wendeltreppen,
stahlgrau auch die, auf einigen Plattformen, die führen irgendwohin, und vielleicht rotieren sie auch, denn die Menschen, die durch diese Spiralen eilen, sind mal hier, mal dort, mal oben, mal unten, ein Mann klebt an einem der riesigen Zahnräder oder ist angekettet, der Ursprung dieses Räderwerkes ist nicht zu erkennen, und wenn die Wände sich verschieben, weitere Ebenen dahinter und Zahnräder und Wände, die sich verschieben, und rotierendes Gestänge wie in einem Getriebe.
    WUMM - KL AMM . WUMM - KLAMM . WUMM - KLAMM .
    Das sind die Geräusche, die der Mann hört. Und er steht da in diesem sich schließenden und öffnenden Raum, und sein Fuß gerät in ein Zahnrad, das da eben noch nicht war, und er stürzt und wird weggerissen. WUMM - KLAMM . WUMM - KL AMM .
     
    Eigentlich wie bei Chaplin, denke ich, während ich über diesen Traum nachdenke, den ich jetzt schon ein paar Mal gehabt habe in den letzten Wochen. März 2009 , der Winter war weg und ist kurz zurückgekommen, aber der Schnee bleibt nicht liegen, es ist zu mild in der Leipziger Tieflandbucht. Seit Tagen höre ich fremde Stimmen in der Leitung, wenn ich telefoniere, und ein Echo, Hallohallohalloha-Aloha, du wirst abgehört, sagt mein Freund LB , der kennt sich aus mit so was, aber das ist Unsinn, denke ich, ich hatte auch schon früher Störungen in der Leitung. Wie Chaplin in
Modern Times
in dieses Riesenzahnradgetriebe gerät, das haben sie in einem der Olsenbande-Filme nachgemacht (
Die Olsenbande schlägt wieder zu
), sozusagen als Hommage. Eine Komödie, denke ich, das wäre das Richtige. Damit würde keiner rechnen, ob sie mich abhören oder nicht.
    Das wäre doch ein Ansatz: Die Typen haben Bärte, in Guantánamo wurden sie anfangs zwar kahl geschoren, aber im Film hätten sie dann schnell wieder Bärte, und wo ist Guantánamo?, auf Kuba, und dort residiert ja auch der Langbartträger Número Uno, Fidel Castro, und der hat auch so seine Fehde mit den U.S.A., let's go to Fidel Castro, eine Art Flucht-Traum der Hauptperson K. wäre das, wie sie durch den Dschungel kriechen und sich den
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