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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an
Autoren: Allison Winn Scotch
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und meine jetzige Situation stellt eindeutig einen Notfall dar, wenn auch nicht die Sorte, für die meine Reserve gedacht war.
    Das Haus sieht anders aus, kaum merklich, aber trotzdem anders. Wie in einem von diesen pädagogisch angeblich so wertvollen Lernspielen, die ich mit Katie häufig spiele: Alle Elemente in einem Bild bleiben gleich bis auf eines, und es gilt, die winzigkleine Veränderung zu entdecken. Entweder ist eine Tasche umgekippt oder die Bäume haben ein anderes Grün oder so. Manchmal hat Katie die Veränderung noch vor mir entdeckt – meine achtzehnmonatige Tochter war mir gegenüber im Vorteil! Und dann klatschten wir in die Hände und sangen laute Lobeshymnen auf sie als das klügste Geschöpf auf Erden.
    Ich lege den Kopf schief und suche die Unterschiede. Vielleicht ist die Farbe der Fensterläden blasser? Sind es die Blumenbeete vor dem Haus mit den Schwertlilien anstatt der Narzissen, die ich letztes Jahr gepflanzt habe?
    «Ist das mein Haus? Ist es das Haus meiner Zukunft?», murmle ich leise, während ich mich der Haustür nähere und in meiner Handtasche nach dem Schlüsselbund suche.
    Nach der Begegnung mit Jack eben kommt es mir zwar ziemlich sinnlos vor, hierherzukommen. Aber Katie   … Ich kann doch Katie nicht verlassen! Was wäre, wenn sie hier ist? Was wäre, wenn ich in irgendein komisches Kaninchenloch gestürzt bin oder mich auf einem LS D-Trip befinde, der furchtbar schiefgegangen ist? Ich muss doch wenigstens versuchen, zu ihr zurückzukommen!
    Mit zitternden Fingern stecke ich den Schlüssel ins Schloss. Er passt zwar hinein, lässt sich aber nicht drehen. Wie verrückt zerre und rüttle ich an dem Schlüssel herum und fange merklich an zu schwitzen. Als plötzlich hinter der Tür Schritte zu hören sind.
    Schnell versuche ich, den Schlüssel wieder rauszuziehen, doch da öffnet sich auch schon die große schwarze Tür und gibt den Blick auf eine erschrocken dreinblickende Mittdreißigerin im Tennis-Outfit frei: Lydia Hewitt. Ich erkenne sie sofort wieder. In fünf Jahren werden sie und ihr Ehemann Donald dieses Haus verkaufen, weil Donald nach Nashville befördert wurde. Lydia wird mit den Tränen kämpfen und Henry und mich von Herzen bitten, das Haus zu genießen und dabei nur mühsam die Verbitterung über den Umstand verbergen, dass sie zugunsten der mickrigen Karriere ihres Mannes in der Mobilfunkbranche die eigene Entwurzelung in Kauf nehmen muss.
    «Kann ich Ihnen helfen?» Lydia verzieht das Gesicht, wie man es von jemandem erwartet, der gerade eine Fremde beim Eindringen ins eigene Haus erwischt. Erschrocken und ein wenig ängstlich macht sie einen Schritt zurück in den Flur, bewaffnet sich mit einem Tennisschläger und demonstriert eine kräftige Vorhand.
    Ich trete ebenfalls einen Schritt zurück. «Ich   … ach, tut mir leid», stammle ich. «Ich habe mich wohl geirrt. Ich dachte, das wäre mein Haus.»
    Der Griff um den Tennisschläger lockert sich merklich, als sie feststellt, dass ich sie weder angreifen noch überfallen will, sondern vielleicht doch nur eine neue, verwirrte Nachbarin bin.
    «Äh, nein», sagt sie, immer noch auf der Hut. «Dies istmein Haus. Haben Sie sich verlaufen? Soll ich jemanden für Sie anrufen?»
    Ich spähe über ihre Schulter in den Eingangsbereich mit der lavendelfarbenen Tapete, die Henry und ich sofort abreißen und durch einen schlichten Anstrich in Hellbeige ersetzen würden. Mein Blick schweift in die Küche, wo Katie anfangen würde, das Krabbeln zu lernen. Aber von dort kommen keinerlei Lebenszeichen, jedenfalls keine Anzeichen für
mein
Leben.
    «Bitte entschuldigen Sie die Störung», sage ich leise und mache auf dem Absatz kehrt. «Es kommt nicht wieder vor.»
    «Geht es Ihnen nicht gut?», ruft Lydia mir nach. «Sind Sie sicher, dass Sie keine Hilfe brauchen?»
    Ich antworte nicht, sondern gehe langsam zurück zum Taxi. Ich lasse die Autotür ins Schloss knallen und dirigiere den Fahrer zurück nach Hause, zu meinem
früheren
Zuhause. Denn was ich Lydia nicht erklären kann, ist, dass mir niemand helfen kann. Es gibt nur mich, meine Vergangenheit und die Lücken dazwischen, die ich jetzt füllen muss.

4
    Viel zu früh betrete ich das
Café Largo
, eine Angewohnheit aus meinem alten Leben, die ich nie losgeworden bin. Der akkurate und penible Henry dagegen kommt ständig zu spät. Mit den Jahren habe ich gelernt, mich anzupassen und geduldig auf ihn zu warten. Dennoch hat meine innere Uhr nie den Gleichklang mit
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