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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Autoren: Udo Reiter
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kurze Zeit später die Mitteilung, dass die Sache erledigt sei. Daraufhin habe ich keine weiteren Nachforschungen angestellt. Das mag ein Fehler gewesen sein. Im Nachhinein ließ es sich jetzt so darstellen, als habe der Intendant seit Jahr und Tag von den krummen Finanzgeschäften seines Unterhaltungschefs gewusst. Wie auch immer, die Berichterstattung vor allem in der »Süddeutschen Zeitung« und in der »Welt« überschlug sich und nahm etwa das Ausmaß ein, das man in diesen Tagen der Eurokrise einräumte. In beiden Blättern schaffte der »Foht-Skandal« es auf Seite eins. Ich habe damals etwas getan, was ein Journalist mit meinen Dienstjahren nicht tun sollte. Ich habe an den Chefredakteur der »Welt« geschrieben. Am Tag darauf habe ich mich geärgert, dass ich mich dazu hinreißen ließ, heute finde ich es eher lustig:
    Sehr geehrter Herr Peters,
    ich möchte nicht versäumen, Ihnen zur Berichterstattung Ihrer Zeitung vom 30. August 2011 über den MDR zu gratulieren. Wie Sie aus einem relativ kargen
     Sachverhalt, der obendrein schon seit Wochen bekannt ist, einen Seite-Eins-Aufmacher produzieren und noch eine weitere Seite im Blatt füllen, das ist
     zumindest quantitativ eine journalistische Meisterleistung. Zumal DIE WELT es verschmerzen muss, dass die »Super Illu« bereits am 11. August den vermeintlichen Scoop im Blatt hatte.
    Die Fakten: Ein MDR-Mitarbeiter hat über einen längeren Zeitraum mit undurchsichtigen Finanztransaktionen gegen die Dienstanweisungen des Hauses verstoßen. Dies wurde von uns aufgedeckt. Der Mitarbeiter wird entlassen. Dem MDR ist nach bisherigem Kenntnisstand kein finanzieller Schaden entstanden …
    Das reicht natürlich nicht für eine größere Geschichte, da muss nachgerüstet werden. Das geht nach Lage der Dinge nur mit 4 x »vielleicht«, 1 x »möglicherweise«, 4 x »könnte«, 1 x »dürfte«, 1 x »wohl«, 4 x »angeblich« – insgesamt 15 Mutmaßungen.
    Da fehlt aber immer noch die Brisanz. Man braucht einen Schuldigen ganz oben. Der Intendant! Er hat alles gewusst! Als Beweis wird ein Brief aus dem Jahr 2009 zitiert, in dem ich von einem Musikmanager über »Fohts Geschäftsgebaren« unterrichtet worden sei.
    Richtig ist – und das habe ich am 17. August in einem Brief an die Mitarbeiter und die Gremien des MDR sowie per Pressemitteilung öffentlich bekannt gemacht –, dass sich am 28. 09. 2009 ein Produzent an mich gewandt und darauf hingewiesen hat, dass er Herrn Foht 10000 Euro geliehen habe. Ich habe den Vorgang damals an den MDR-Fernsehdirektor weitergegeben und erhielt von ihm Mitte Oktober 2009 die Mitteilung, dass die Sache erledigt sei. Daraufhin habe ich keine weiteren Nachforschungen angestellt.
    Ich bin sicher, Ihr Autor hätte das von seinem hohen moralischen Ross aus alles ganz anders gemacht. Wir warten mit großem Interesse auf seine nächsten »Enthüllungen«.
    Da Sie unsere Verfehlungen bundesweit bekannt gemacht haben, erlaube ich mir, diese Antwort ebenfalls zu veröffentlichen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Udo Reiter
    Überflüssig, wie gesagt. Aber man neigt offenbar dazu, Nerven zu zeigen, wenn man Tag für Tag unter medialem Beschuss steht. Dass es mit mir einen aus der austeilenden Zunft getroffen hat, mag man unter ausgleichender Gerechtigkeit verbuchen. Besonders um diese Gerechtigkeit verdient gemacht hatte sich in diesen Wochen Christiane Kohl, die Mitteldeutschland-Korrespondentin der »Süddeutschen Zeitung«, eigentlich eine nette, etwas mütterlich wirkende Frau, zu der man schnell Vertrauen fasst. Sie überschlug sich fast vor Empörung: »Ein Skandal folgt auf den nächsten«, »Die Affäre wird immer verworrener«, »der trudelnde Sender«, »die jüngsten Skandale«, »der krisengeschüttelte Sender«, »geschäftliche Sauereien, übelste Geldgeschichten« – so ging das tagelang. Und damit die Schauer auch wollüstig genug ausfielen, toppte sie ihre Skandalorgie mit einer Meldung aus einer Rundfunkratsitzung: »Da forderten selbst CDU-Vertreter, die Reiter bislang stets gestützt hatten, seinen Rücktritt.« Das war nun eine glatte Ente, kein Mensch hatte je meinen Rücktritt gefordert. Beim Lesen dieser Artikel wurde mir Agatha Christie immer sympathischer: »Ich habe Journalisten nie gemocht. In meinen Büchern habe ich sie immer sterben lassen.«
    Jenseits der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der öffentlichen Darstellung habe ich mich natürlich gefragt, ob solche Dinge nur bei uns vorkommen und wenn ja, warum?
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