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Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Titel: Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
Autoren: Peter Wilhelm
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ist ein Fläschchen Babyöl umgefallen, was sie aber nicht bemerkte. Nachdem sie das Kind gewickelt hatte, nahm sie es an die Schulter, damit es ein Bäuerchen machen konnte. Dabei stützte sie es mit einer Hand am Rücken und im Nacken, und mit der anderen Hand räumte sie die Utensilien und die alte Windel weg. Dabei beugte sie sich etwas vornüber, wodurch das Kind ins Rutschen kam; vor Schreck ließ sie dann alles andere fallen und versuchte, die Kleine mit beiden Händen zu greifen. Weil das Kind im oberen Nackenbereich durch das Babyöl rutschig war, fand sie zunächst keinen richtigen Halt und bekam es erst am Hals richtig zu greifen. Daraufhin hörte das Baby sofort auf zu schreien, und die Mutter rief den Vater hinzu. Beide meinten, das Kind sei nur bewusstlos, also zogen sie ihm ein Hemdchen an, legten es ins Bett und riefen sofort den Arzt. Bis hierhin haben wir es mit einem mehr als tragischen und schrecklichen Unfall zu tun, und die hier wiedergegebene Schilderung entspricht auch dem, was die Kriminalbeamten für wahrscheinlich halten und was, wie ich hörte, auch die Rechtsmediziner unterschreiben. Weitere Anzeichen von Gewalteinwirkung gibt es nicht, und – Beamte drücken sich immer so wunderbar amtlich aus – die bei der Tatorterhebung gewonnenen Erkenntnisse deuten auf ein intaktes soziales Umfeld hin sowie auf die Tatsache, dass die Eltern mit dem Baby in die Zukunft geplant haben, was durch das Vorhandensein von Gegenständen, die das Kind erst später brauchen wird, unterstrichen wurde. Von einer absichtlichen, also vorsätzlichen Tat kann keine Rede sein, heißt es.
    Aber zurück zum Arzt, den man nun also gerufen hatte. Man muss wissen, dass es sich bei den Sterbepapieren, die er ausfüllt, um einen ganzen Stapel durchschreibender Blätter handelt. Allgemeine Daten wie die Personalien schreiben sich durch den ganzen Satz bis auf das unterste Blatt hindurch, während bestimmte Angaben – wie z.B. die zur Todesursache – gezielt nur auf einem Teil der Ausfertigungen landen, weil sie die Empfänger der anderen Exemplare nichts angehen. Wenn man nun beim Ausfüllen etwas eilig oder unachtsam ist und die Blätter nicht genau übereinanderliegen, schreibt sich manches in die falschen Felder durch, manches ist doppelt, vieles unleserlich und so weiter. So haben wir im aktuellen Fall lauter Kreuze auf den Durchschriften, und es ist nicht erkennbar, ob der Herr Doktor nun den natürlichen oder den nichtnatürlichen Tod angekreuzt hat. Neben das Ankreuzfeld »Plötzlicher Kindstod« hat er noch eine lange Welle gezogen, als ob da noch etwas Unleserliches käme.
    Darüber, ob bei plötzlichem Kindstod immer die Polizei verständigt werden muss, gibt es unterschiedliche Meinungen: Manche sagen »auf jeden Fall«, andere »wenn der Arzt es für nötig hält«. Meine Meinung: Auf jeden Fall!
    Zurzeit deutet jedenfalls alles auf einen tragischen Unfall hin. Nach dem, was mir ein Beamter so nebenbei erzählt hat, steht noch nicht einmal fest, ob überhaupt ein Verfahren gegen die Mutter eröffnet wird. Das hänge vom endgültigen Obduktionsbericht ab, da sei noch etwas offen.
    Wahrscheinlich können wir die Kleine morgen früh holen, sobald die Freigabe da ist. Einen Sarg hat der Vater gestern schon ausgesucht – klassisch schlicht und in Weiß. Blumen bestellen sie selbst beim Gärtner, Zeitungsanzeigen gibt es nicht. Wenn man sieht, wie fertig der Vater ist, kann man eigentlich nur Mitleid mit ihm haben. Morgen soll das Kind hier bei uns im Aussegnungsraum bzw. in unserer Hauskapelle aufgebahrt werden, und dann kommen auch die Mutter und der Rest der Familie.
    Donnerstag, 14 Uhr
    Bis jetzt gibt es keine neuen Erkenntnisse, außer dass die Sache meines Wissens als Unfall behandelt wird. Maria ist da und wurde eingebettet. Der Pathologe war gnädig und hat das Kind nicht zu sehr verschandelt – da habe ich schon anderes gesehen. Die offene Aufbahrung ist für heute Nachmittag angesetzt und dürfte wohl problemlos ablaufen.
    Im Vorfeld haben wir uns überlegt, ob wir das in einem unserer Aufbahrungsräume machen sollen oder in unserer Hauskapelle. Einerseits ist die Kapelle viel größer, und auf Grund des zu erwartenden Besucherstroms liegt es zunächst nahe, diesen Raum zu verwenden. Aber ich befürchtete, dass die vielen Leute wegen der Dramatik der Vorfälle, wegen des jungen Alters der Verstorbenen und natürlich auch wegen des südländischen Temperaments möglicherweise zu Problemen führen
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