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Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Titel: Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
Autoren: Peter Wilhelm
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an – das gibt ein perfektes Bild. Es sieht jetzt viel geborgener aus, finde ich. Mimi saugt den dicken Teppichboden ab, auf dem noch Blumenreste zu sehen sind. Nächstes Mal nehme ich auf jeden Fall eine andere Sorte Teppich – auf diesem hier muss man immer in die gleiche Richtung saugen, damit es keine Spuren gibt. Anschließend zünden wir im Nebenraum einige Räucherhütchen an – das legt einen bestimmten Duft über das Ganze –, dann noch einmal die Lüftung einschalten, damit es nicht zu stark wird. Wir richten im Vorraum Wasser und Kaffee, ein letzter Blick, alles ist okay. Jetzt können die Leute kommen.
    Eine halbe Stunde später geht es los. Ein Onkel bildet die Vorhut. Er gibt sich sachlich und erklärt, dass alles in Ordnung kommt und dass es kein Verfahren gegen die Mutter gibt – ich bin beruhigt.
    Dann kommen noch mehr Männer; keiner traut sich als Erster in die Kapelle, sie verstecken sich hinter recht lautem und durch wilde Gesten unterstrichenem Gespräch. Auf einmal tritt Ruhe ein, die Eltern des Kindes kommen und hinter ihnen rund vierzig Personen aller Altersklassen. Der Vater hat die Mutter am Arm und begrüßt mich. Ich schaue ihn fragend an, er nickt. Ich öffne die beiden Flügeltüren, die Eltern treten näher, bleiben stehen, schauen den Gang in der Mitte entlang, sehen den kleinen Sarg, und die Mutter schluchzt auf. Mein Gott, ich will nicht in deren Haut stecken, denke an meine Kinder …
    Nach einer Sekunde des Verharrens gehen sie los, langsam, ganz langsam nähern sie sich dem Sarg. Die anderen bleiben draußen, lassen ihnen Privatsphäre, schenken ihnen die Minuten des schlimmen, aber so wichtigen Abschiednehmens. Ich höre, dass die Mutter noch mehr weint, sie sind jetzt direkt am Sarg, der Vater streichelt über die Decke, zupft am Schleier. Die anderen betreten den Raum, gehen nach vorne, einer nach dem anderen, manche als Paar zu zweit. So stehen sie da, es wird geweint und getuschelt, doch alle sind sehr ruhig. Ganz anders, als ich es erwart hatte – kein Palaver, kein theatralisches Geheule, es ist Frieden, es ist Ruhe. Eine ältere Dame, vielleicht die Großmutter, muss sich setzen; eine Mitarbeiterin hilft ihr und bringt ihr ein Glas Wasser; auch andere nehmen Platz. Ich nicke dem Mann am CD-Player zu, er dreht die Musik etwas lauter. Alle sitzen, nur die Eltern stehen noch am Sarg, die Köpfe aneinandergelegt …
    Eine halbe Stunde geht das so. Dann geht der Vater vor und tut etwas, womit ich nicht gerechnet habe: Er lüftet den Schleier und küsst sein totes Kind auf die Stirn. Die Mutter folgt und nach ihr alle anderen. Jeder steht auf, tritt an den Sarg, an dessen Kopfende die Eltern jetzt stehen, jeder küsst die Kleine auf die Stirn – die wenigen Jugendlichen und Kinder ausgenommen, die einfach nur zum Sarg gehen und kurz stehen bleiben. Danach verlässt man die Kapelle und lässt schließlich die Eltern allein zurück.
    Der Vater sieht mich hilfesuchend an, ich gehe langsam hin. Was will er?
    »Hammer!«, sagt er zu mir, ich nicke einem Mitarbeiter zu. Es dauert etwas, und wir finden Hammer und Nägel, zwei Frauen holen die Mutter ab und führen sie hinaus. Und dann steht er da, dieser Mann aus Italien, und nagelt einsam und weinend den Sarg seiner kleinen Tochter zu. Man muss das nicht, man macht das normalerweise nicht, aber er tut es, Schlag für Schlag treibt er die Nägel in das Holz. Ich weiß nicht, ob es sechs oder acht Nägel sind, dann ist er fertig, streicht einmal über den Deckel und nickt – ja, das hat er gut gemacht. Für ihn ist damit alles erledigt, ein Abschluss gefunden, der letzte schwere Akt vollbracht. Dicke Tränen laufen über sei Gesicht.
    Er drückt mir den Hammer in die Hand, umarmt mich, seine Tränen nässen meinen Hemdkragen, und ich weine ihm auf die Schulter.
    Ich glaube, alle haben geweint.

Jagdfieber
Ein Vorurteil ist, dass Bestatter Miesepeter, Grambitter und Sauertöpfe sind. Die gehen zum Lachen in den Keller und laufen den ganzen Tag mit einer Leichenbittermiene herum. Ha! Das ist alles gar nicht wahr und in Wirklichkeit ganz anders.

    D ie Arbeit in einem Bestattungshaus ist, ganz anders, als es die Leute immer vermuten, überhaupt nicht traurig oder von andauernder Anteilnahme geprägt. Natürlich wissen wir, besser als jeder andere, wann wir zurückhaltend oder pietätvoll sein müssen. Aber in einem Bestattungshaus ist ja nicht ständig trauernde Kundschaft unterwegs, oftmals wartet man tagelang auf einen
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