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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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sich in die Sonne gelegt hatte, stand nur ein Dutzend Schritte von ihr entfernt und tauchte seinen Blick in ihren, als sie den Kopf hob: Ihre hellen Blicke, die von unvergleichlicher Schönheit waren, trafen sich.
    Und plötzlich gab es keinen Axel mehr – er verschwand, so als wäre er nie in dem Garten aufgetaucht – er verflüchtigte sich, vernichtet durch jenen Tod, den man ihm auf Renata eingeschrieben hatte.
    Aber unmittelbar vor der lautlosen Implosion – mochte sie auch nicht so lautlos gewesen sein, dass Clara das langgedehnte
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nicht deutlich wahrgenommen hätte, das bei der Auflösung ihres Reisegefährten erzeugt wurde und worauf sie vor Erstaunen, Entsetzen und Mitleid einen langen Schrei ausstieß – hatte Axel sein Heft von sich geworfen, sodass es der Zerstörung entrinnen konnte und unversehrt im Gras landete, zu Claras Füßen.

K APITEL 24
(das als Epilog dient)
GESETZLOS
    Wer hätte sich gedacht, dass die Geschichte von Akakij Akakijewitsch
noch nicht zuende ist, und dass es ihm vergönnt war, noch einige Tage nach seinem Tode, Aufsehen zu erregen, wohl als Entgelt für sein
unbemerkt gebliebenes Leben?

Nikolai Gogol,
Der Mantel
    Vierundzwanzig Kerker
hat das Gefängnis von Utrera.
Dreiundzwanzig habe ich durchlaufen,
der finsterste erwartet mich noch
.
Flamencolied (Anonym)

Ich kann nicht umhin, mir zu Beginn dieses vierundzwanzigsten und letzten Kapitels zwecks Beruhigung meines Geistes (und meines Lesers) erneut die Frage zu stellen, ob ich nun an die Geschichte der kosmischen Reise von Axel und Clara glaubte oder nicht.
    Nun, ich glaubte sie, ohne sie zu glauben. Ich könnte es im Moment nicht besser ausdrücken. Vielleicht werde ich in einigen Seiten zu einem gefestigteren Urteil kommen, doch ich weiß es nicht. Abwarten. Ich muss selbst abwarten.
    Ich fasse kurz den Verlauf unseres Lebens zwischen dem 2. Juni ’08 und dem 6., dem Tag meines 42. Geburtstags, zusammen.
    Am 4. kehrte ich vormittags allein in die Rue des Martyrs zurück, um meine Post abzuholen (die ich mit Maximes Briefmesser öffnete – vor allem die Formulare, die unterschrieben an Diego Ruiz und die Agentur du Globe geschickt werden mussten, Luis Archer, Luis Archer, Luis Archer) und etwas Kleidung mitzunehmen (ehrlich gesagt eine ganze Menge), meine wunderbare Flamencogitarre, ein anderes Heft, das mir Maxime geschenkt hatte, diesmal dick und königsblau, für den Fall, dass ich mich bald mit der Abschrift der Noten befassen würde, die aus allen Seiten des roten Hefts quollen. Und meine Abba-Cappa-Nagelbürste die am Tag ihres Kaufs noch so schön gewesen war (im Badezimmer, das Clara mir zur Verfügung gestellt hatte, gabes keine Nagelbürste, ich hatte nicht nachgefragt, sondern mir gesagt, dass ich mich schließlich ein oder zwei Tage gedulden könne).
    Als ich aus dem Haus kam, stieß ich auf Marie-Jeanne Jalley – meine kleine rothaarige Schülerin aus der Rue Manuel, die Freundin von Cathy –, die ich auf den ersten Blick erkannte, obwohl sie inzwischen vierundzwanzig und nicht mehr zwölf Jahre alt war. Wir unterhielten uns eine Weile, gerührt von den Erinnerungen an die Vergangenheit und die Verbrechen. Durch sie erfuhr ich, dass der erbärmliche Hubert Mornais am Ende des Monats das Institut Benjamin verlassen würde (in Begleitung des erbärmlichen Eric Quiret). Sie wusste nichts über den neuen Leiter, der zu Beginn des neuen Schuljahres das Amt antreten würde, außer dass er alleinstehend und alt war. Von ihr erfuhr ich auch, dass sie geheiratet hatte. Sie wohnte noch immer in der Rue Manuel, in der Nummer 6 bei ihren Eltern.
    Ich kehrte nach Saint-Maur zurück. Wie sollte ich meine Tränen zurückhalten, als ich mit meinem Lancia Thema diese Strecke entlangfuhr, die mich jahrelang zu Maxime gebracht hatte, wie sollte vor meinem inneren Auge nicht sein Bild auf den unterschiedlichen und doch immer gleichen Straßen jener Länder auftauchen, in denen ich ihn besucht hatte, wie sollte ich ihn nicht am Steuer seiner vielen verschiedenen Autos sehen (er wechselte oft das Auto, er liebte Autos) und mich erinnern, wie er mich behände und geschickt herumgefahren hatte, während er die anderen zu langsamen Autofahrer aus Spaß beleidigte oder in gespielte Wut gegen sie verfiel (»rechtes Pedal, du armer Trottel, rechtes Pedal!«) – oder freundlich, mitleidig (aber trocken) rief: »Man hat dir wohl einen Amboss auf den Rücken geschnallt, du Schnecke?«, während sich sein schwarzes, streng nach
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