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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Bossong
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trug. Sie fand seinen Namen an der Klingelleiste, die Tür sprang surrend auf, alles passte zusammen, und dennoch wusste Luise nicht, wie sie selbst hierher passte. Ein Beamter in Polizeiuniform öffnete ihr in der dritten Etage die Wohnungstür, eine Tür aus verschrammtem Metall.
    You are –? May I see your ID, Miss?
    Er blickte sie an, sie sah nur seine Wangen, zu viel Fleisch, und fingerte ihren Führerschein hervor. Nichts Ungewöhnliches war es, versuchte Luise sich einzureden, dass ein Polizeibeamter in der Wohnung wartete, bis der Arzt vor Ort war. Nichts Ungewöhnliches, dass bei schwerem Schneefall ein Arzt noch nicht bis in diesen Winkel Brooklyns vorgedrungen war. Es war nichts Ungewöhnliches. Es bedeutete ihr nur mit Gewissheit, dass in dieser Wohnung jemand verstorben war.
    Gegen Mittag, erfuhr sie von dem Beamten, hatte sich Kurt Tietjen aus dem stumpfen Geruch der verwohnten Räume zurückgezogen, aus dem Gewühl jener heruntergewirtschafteten Stadt. Die halbe Stunde, die Luise im Feierabendverkehr Manhattans verloren hatte, war bereits unwichtig gewesen. Jene Frau, die auf dem Sofa lag und Diet Coke trank, sei die einzige Person gewesen, die dabei gewesen sei, als Kurt Tietjen gestorben war.
    Durch die offene Wohnzimmertür konnte Luise Fanny sehen. Sie hatte sich also wieder in Kurts Leben gedrängt, allen Beteuerungen zum Trotz, natürlich, dachte Luise, solche Leute hielten es nie lange allein aus. Fanny war in einen Bademantel gehüllt, Modell Sunshine Sally, den Kurt ihr überlassen haben musste, da niemand außer Kurt das Modell Sunshine Sally in den Staaten beziehen konnte, obwohl es extra für die Staaten konzipiert worden war, ein Fehlschlag der Firma, einer von vielen. Fanny drückte das Kinn auf die Brust und tupfte sich mit dem Frotteeärmel über die Wangen.
    Vor einem halben Jahr, bei Luises letztem Besuch, waren sie sich kurz begegnet, im Foyer des Hotels, in dem Luise übernachtet hatte. Fanny war ihr aufgefallen, weil diese Frau nicht in das Interieur des Hotels hineingepasst hatte, alles an ihr wirkte preiswert, und selbst das Preiswerte nur aus zweiter Hand. Luise hatte sie verwundert angesehen, ein Kuriosum, dem man einen Moment lang seine Aufmerksamkeit schenkt und das man im Laufe des Tages wieder vergisst. Fanny war jedoch nicht, wie Luise erwartet hatte, auf der anderen Seite der Halle geblieben, sondern in ihren hohen Pumps auf sie zugestöckelt.
    Luise Tietjen?, fragte sie, und Luise erschrak, wie man über etwas Ungehöriges erschrickt. Sie sah sich im Foyer um, ob jemand der Gäste Fanny gehört hatte, und natürlich ruhten alle Blicke auf dieser Person, die hier falsch war, ein Stück Blech zwischen Silbermünzen. Luise hätte verneinen, hätte türmen können, aber sie hatte das Gefühl, dass Fanny sehr genau wusste, wer Luise war, dass sie ein Nein nicht hingenommen hätte.
    Sie stellte sich als Fanny vor, nur Fanny, so als habe man es in ihrer Familie noch nicht zu einem Nachnamen gebracht. Sie sei die Freundin von Kurt Tietjen, girlfriend, sagte Fanny, was im Zusammenhang mit Luises knapp sechzigjährigem Vater seltsam klang. Luise hatte ihren Vater von ihr sprechen hören, in einem Nebensatz hatte er sie einmal als this Fanny erwähnt, was Luise als this funny missverstanden und auf ein nachfolgendes Hauptwort gewartet hatte. Zweifelsohne konnte eine solche Frau nicht ernsthaft zu ihrem Vater gehören. Sie war eine jener bemitleidenswerten Existenzen, die glaubten, einen Millionär geangelt zu haben, und doch nur selbst an der Angel hingen, zappelten, bis sie an der Luft erstickt waren. Ein Mann wie ihr Vater, dachte Luise, hatte zu viel Format, als dass es ihm möglich gewesen wäre, mit einer solchen Frau zu leben.
    Doch Luise ging von einem Mann aus, den es lang nicht mehr gab. Seit ihr Vater sich nach New York zurückgezogen hatte, wirkte er ärmlich, wie jene Arbeiter, die zur Mittagszeit an den Resopaltischen neben den Supermarktkassen sitzen und verkochtes Gemüse aus Aluminiumschalen essen. Seine Kleidung war farblos und ohne Stil. Er trug einen Dreitagebart, der an ihm ungepflegt wirkte. Er sah aus wie ein Arbeitsloser, der sich um die Nachmittage drückte. An manchen Tagen wirkte er noch verlorener. Wie ein Obdachloser, dachte Luise. Ja, und war er nicht eben das? Jemand, der nach New York gekommen war, um ohne festen Wohnsitz, ohne festes Leben zu sein?
    Die beiden Frauen setzten sich ins Foyer, Luise bestellte zwei Gläser Wasser, sah auf die dürren
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