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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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schützen.
    Die Spitzenabteilungen der Demonstration betreten den Newski, die Pulsader der Bourgeoisie, Bürokratie und des Offizierskorps, wie ein fremdes Land. Von Bürgersteigen, Fenstern und Balkonen späht lauernd die Mißgunst tausender Augen. Regiment wälzt sich auf Betrieb, Betrieb auf Regiment heran. Es kommen immer neue und neue Massen. Alle Banner, Gold auf Rot, schreien ein und dasselbe: Alle Macht den Sowjets! Der Zug beherrscht den Newski und ergießt sich in unüberwindlichem Strom zum Taurischen Palais. Plakate: "Nieder mit dem Krieg!", rufen die schärfste Feindseligkeit bei den Offizieren, darunter nicht wenig Invaliden, hervor. Mit den Armen fuchtelnd und sich überschreiend, mühen sich Student, Studentin, Beamter ab, den Soldaten auseinanderzusetzen, daß die hinter ihrem Rücken stehenden deutschen Agenten Wilhelms Truppen nach Petrograd hereinlassen wollen, um die Freiheit zu ersticken. Den Rednern scheinen ihre eigenen Argumente unwiderstehlich. "Von Spionen betrogen!" sagen Beamte von den Arbeitern, die sie düster abwehren. "Von Fanatikern hineingehetzt!" antworten Nachsichtigere. "Dunkelmänner!" stimmen die einen und die anderen überein. Doch die Arbeiter haben ihr eigenes Maß für die Dinge. Nicht bei deutschen Spionen haben sie jenen Gedanken gelernt, der sie heute auf die Straße führt. Die Demonstranten drängen unhöflich die lästigen Belehrer aus ihrer Mitte und bewegen sich vorwärts. Das bringt die Patrioten vom Newski in Raserei. Stoßtrupps, am häufigsten von Invaliden und Georgsrittern angeführt, überfallen einzelne Demonstrantenreihen, um ein Banner zu entreißen. Da und dort kommt es zu Zusammenstößen. Die Atmosphäre wird erhitzt. Schüsse ertönen, einer, noch einer. Aus einem Fenster? Aus dem Anitschkin-Palais? Vom Pflaster antwortet man mit einer Salve nach oben - ohne Adresse. Vorübergehend gerät die Straße in Verwirrung. Gegen Mitternacht, erzählt ein Arbeiter der Firma "Vulkan", während das Grenadierregiment den Newski passierte, setzte neben der Öffentlichen Bibliothek von irgendwoher eine Schießerei ein, die etliche Minuten andauerte. Eine Panik brach aus. Die Arbeiter zerstreuten sich in die Seitenstraßen. Die Soldaten warfen sich unter dem Feuer hin: nicht umsonst haben viele von ihnen die Schule des Krieges durchgemacht. Dieser mitternächtliche Newski-Prospekt mit den auf der Straße unter Feuer liegenden Gardegrenadieren bietet ein phantastisches Schauspiel. Weder Puschkin noch Gogol, die Sänger des Newski, haben sich ihn so vorgestellt! Indes war diese Phantastik Realität: auf dem Pflaster blieben Tote und Verwundete.
    Das Taurische Palais lebte an diesem Tage sein besonderes Leben. Angesichts des Austritts der Kadetten aus der Regierung berieten beide Exekutivkomitees, das der Arbeiter und Soldaten und das der Bauern, gemeinsam ein Referat Ze-retellis über das Thema: wie ist der Pelz der Koalition zu waschen, ohne das Fell naß zu machen? Das Geheimnis einer solchen Operation wäre wohl schließlich entdeckt worden, wenn das die unruhigen Vorstädte nicht verhindert hätten. Telephonische Berichte über das bevorstehende Auftreten des Maschinengewehrregiments rufen auf den Gesichtern der Führer Grimassen des Zorns und Ärgers hervor. Können denn die Soldaten und Arbeiter nicht abwarten, bis ihnen die Zeitungen rettende Entschlüsse bringen? Scheele Blicke der Mehrheit in die Richtung der Bolschewiki. Doch kam die Demonstration diesmal auch für diese überraschend. Kamenjew und andere anwesende Vertreter der Partei erklären sich sogar bereit, nach der Tagessitzung in die Betriebe und Kasernen zu gehen, uni die Massen von einer Demonstration zurückzuhalten. Später deuteten die Versöhnler diese Geste als Kriegslist. Die Exekutivkomitees nehmen eiligst einen Aufruf an, der, wie üblich, jede Demonstration als Revolutionsverrat erklärt. Was aber nun mit der Regierungskrise? Der Ausweg ist gefunden: das amputierte Kabinett bleibt, wie es ist, und die Gesamtfrage wird bis zum Zusammentritt der Provinzmitglieder des Exekutivkomitees vertagt. Verschleppen, Zeit gewinnen für die eigenen Schwankungen - ist das nicht die weiseste aller Politik?
    Nur im Kampfe gegen die Massen hielten die Versöhnler Zeitverlust für unzulässig. Der offizielle Apparat wurde unverzüglich in Bewegung gesetzt, um gegen den Aufstand - so wurde die Demonstration von Anfang an bezeichnet - zu rüsten. Die Führer suchten überall bewaffnete Kräfte zum Schutze der
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