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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung
Autoren: Andreas Rödder
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115 Milliarden D-Mark bis Ende 1994 zur Verfügung und sollte zu 20 Milliarden aus Einsparungen des Bundes finanziert werden, der Rest durch je zur Hälfte von Bund bzw. Ländern und Gemeinden getragene Kredite; im Gegenzug sollten die neuen Länder bis 1995 nicht in den Länderfinanzausgleich einbezogen werden. Damit waren zwei Vorzeichen für die Finanzierung der deutschen Einheit gesetzt: zum einen die weitgehende Finanzierung auf dem Kreditweg, vor allem über vom regulären Haushalt abgetrennte Sonderfonds, zum anderen die Belastung hauptsächlich des Bundes.
    Die deutsche Einheit verschlang astronomische Summen, deren Ausmaß niemand vorhergesehen hatte. Die Gesamthöhe der Transfers ist dabei gar nicht genau bezifferbar, da sie nicht im Einzelnen als solche ausgewiesen, sondern auf verschiedene Posten verteilt und vielfach in allgemeine Positionen integriert waren. Die Nettotransfers für den materiellen Aufbau der neuen Länder und die sozialstaatlichen Leistungen dürften sich bis 2006 auf eine Größenordnung von ca. 1200 bis 1400 Milliarden Euro belaufen und jährlich zwischen vier und fünf Prozent des westdeutschen Bruttoinlandsprodukts ausgemacht haben. Sie liegen somit «in weltweit einmaliger Größenordnung» (Dieter Grosser).
    Das Hauptproblem neben der unerwarteten Dimension war dabei, dass der «optimale Mix von Einsparungen, Abgabenerhöhungen und Kreditfinanzierung» (Thilo Sarrazin, seinerzeit Referatsleiter im Bundesfinanzministerium) verfehlt wurde. Dass die zusätzlichen Kosten für die Einheit – trotz Einsparungen und Steuererhöhungen – überwiegend auf dem Kreditweg finanziert wurden, führte, erstens, dazu, dass sich die öffentlichen Schulden zwischen 1989 mit einem Anstieg von 929 auf 2125 Milliarden D-Mark mehr als verdoppelten. Diese Finanzierung ging vor allem zu Lasten des Bundes, dessen Schulden bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2008 auf über 1500 Milliarden Euro anstiegen, und insgesamt auf Kosten späterer Haftungsträger, sprich: künftiger Generationen. Darüber hinaus wurde, zweitens, die soziale Absicherung des Transformationsprozesses –Arbeitslosenunterstützung und Renten, zumal die Frühverrentungen –, die zwischen 1991 und 1995 immerhin fast ein Viertel der Transferleistungen ausmachte, durch die Versicherten der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung getragen. Dies setzte die Teufelsspirale des beitragsfinanzierten Sozialstaats in Gang: Erhöhte Sozialabgaben steigerten die Arbeitskosten, und diese wiederum führten zu steigender Arbeitslosigkeit, die abermals höhere Sozialausgaben bei geringeren Beitragseinnahmen erforderte. Die so konzipierte Sozialunion federte die gravierenden materiellen Folgen der ostdeutschen Transformation ab und verhinderte soziale Erschütterungen. Zugleich aber überlastete sie die angesichts des gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels ohnehin reformbedürftigen Sicherungssysteme der Bundesrepublik vollends. Schließlich wurde wiederholt moniert, dass die Transfers in die neuen Länder, weil sie für allgemeine Finanzzuweisungen, Subventionen, Arbeitsmarktpolitik und Sozialleistungen verwendet wurden, in einem zu geringen Maße für Investitionen eingesetzt wurden, um die Produktivitätslücke gegenüber dem Westen zu schließen.
    Mit der deutschen Einheit stieg die Staats- und die Sozialleistungsquote signifikant an. Das Erbe der Einheit lag nicht zuletzt in einer erheblich angewachsenen Staatstätigkeit in Deutschland. Zugleich hatte sich das Land mit der deutschen Einheit zu den Konditionen von 1990 – schnelle Angleichung im Osten, keine Wohlstandseinbußen im Westen – strukturell übernommen. Die Frage ist nur: Gab es eine Alternative?
5. Alternativen?
    Nach dem Sturz der SED-Herrschaft in der DDR stellten sich grundsätzlich drei Anforderungen: erstens einen freiheitlich-demokratischen, pluralistischen Rechtsstaat zu errichten, zweitens die materiellen Lebensbedingungen signifikant zu verbessern und drittens die Massenabwanderung zu stoppen. Letztere hing mit der Sonderbedingung zusammen, durch die sich die DDR von allen anderen Staaten des Ostblocks unterschied: dieExistenz der Bundesrepublik als der grundlegenden Systemalternative mitsamt der staatsrechtlich garantierten Möglichkeit für die Ostdeutschen, individuell überzusiedeln oder kollektiv beizutreten.
    Als Alternativen zur schnellen Wiedervereinigung unter möglichst vollständiger Übertragung der bundesdeutschen Ordnung auf die DDR
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