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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung
Autoren: Andreas Rödder
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Problem, sondern eher in den zu optimistischen Erwartungen sowie in grundlegenden Haltungen, nicht zuletzt über den 3. Oktober 1990 hinaus. Dabei geht es, in historischer Perspektive, um nicht weniger als Deutschlands «zweite Chance» (Fritz Stern).

Resümee: Die deutsche Einheit in der Geschichte
    «Wir sind das Volk» und «Wir sind ein Volk» – die Ziele der Bürgerbewegung in der DDR 1989 standen in der Tradition der bürgerlich-liberalen und der demokratischen Bewegung im 19. Jahrhundert: Volkssouveränität, Freiheit und nationale Einheit. Nachdem der erste revolutionäre Anlauf 1848/49 gescheitert war, wurden die Deutschen 1871 zwar ein, aber nicht
das
Volk. Ohne Volkssouveränität war das kleindeutsch geeinte Kaiserreich eine konstitutionelle Monarchie mit Vorrang des Monarchen, kein parlamentarisches und erst recht kein demokratisches politisches System, wenngleich die Volksvertretung über Mitwirkungsrechte verfügte und mit der Zeit an Bedeutung gewann. Um die Jahrhundertwende befanden sich die deutschen Dinge in der Schwebe: Einerseits ging der allgemeine Entwicklungstrend in Westeuropa hin zur parlamentarischen Demokratie, andererseits dämmten die herrschenden preußischdeutschen Eliten ihn ein; einerseits entfaltete das Kaiserreich eine überschießende ökonomisch-technologische Dynamik und Modernität, andererseits verbreiteten sich Kulturpessimismus und Krisenstimmung, zeigten Nationalismus und Militarismus, Stärke und Nervosität, Angst und Anmaßung im politischen Auftreten die Krise der bürgerlichen Moderne an.
    Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges schien die Klärung drückender Uneindeutigkeit zu versprechen – und führte Deutschland in das Zeitalter der Katastrophen. Der 1. August 1914 markierte den wichtigsten Wendepunkt der europäischen und insbesondere der deutschen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, als mit einem Schlag die fulminanten Entwicklungschancen dieses widersprüchlichen Landes zerbrachen. Mit der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik erfüllte sich zwar eine der großen Hoffnungen des 19. Jahrhunderts – dieDeutschen waren jetzt
das
Volk, aber was für eines: Traumatisiert durch den verheerenden Krieg und die Niederlage, gedemütigt durch neuerliche Besetzung und Reparationslasten, weithin ruiniert durch Inflation und Weltwirtschaftskrise, wandten sich die Deutschen ab von Freiheit und Demokratie. In der verschärften Krise der Moderne wurde die Idee der Diktatur, wie Paul Valéry 1938 feststellte, «so ansteckend […] wie im vorigen Jahrhundert die Idee der Freiheit».
    Nicht nur die Freiheit, auch das elementare Recht ging in der nationalsozialistischen Diktatur mit ihrer vernichtungsbereiten Herrschaft der Gewalt und ihrem Rassismus unter. Sie richtete sich gegen Juden und andere Stigmatisierte nach innen, trieb weite Teil der kulturellen und wissenschaftlichen Eliten in einem nicht wiedergutzumachenden Aderlass aus dem Land und trug die deutsche Katastrophe schließlich im Vernichtungskrieg nach außen. Der Völkermord stürzte Europa und Deutschland in den Abgrund des Menschheitsverbrechens schlechthin. Binnen dreißig Jahren hatte Deutschland all seine Chancen vertan.
    Nach dem Krieg wurden die Welt und Deutschland geteilt, den einen zum Wohl, den anderen zum Wehe. Die Bundesrepublik hatte Glück. Ungeachtet der deutschen Schuld und Verantwortung kam sie einigermaßen ungeschoren davon und konnte sich im Schatten der Teilung auf der westlichen Seite zur stabilen, wohlhabenden Demokratie entwickeln. Demgegenüber wurde die DDR unter sowjetischer Herrschaft durch Demontagen, Reparationen und Kontributionen verschiedenster Art ökonomisch ausgesaugt und auf die sozialistische Diktatur festgelegt. Zudem waren beide Staaten an der Nahtstelle des Ost-West-Konflikts der täglichen Bedrohung durch die nukleare Auslöschung ausgesetzt – und lebten zugleich im Auge des Taifuns vergleichsweise ruhig.
    Von dieser weltpolitischen Konstellation hing auch die deutsche Frage ab. Denn erst als sich die Konstellation verschob, kam auch wieder Bewegung in die seit den sechziger Jahren stillgestellte deutsche Frage. Als der sowjetische Hegemon seinen neuen Kurs einschlug, eröffneten sich unerwartet neue, alte Möglichkeiten: «Wir sind das Volk» und «Wir sind ein Volk!»Die deutsche Einigung von 1990 fand – bei allen Differenzen im Einzelnen – erstmals im Einklang mit den Nachbarn und nicht in jenem Zeichen kriegerischer Gewalt statt, in dem das
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