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Geschichte der deutschen Sprache

Geschichte der deutschen Sprache

Titel: Geschichte der deutschen Sprache
Autoren: Thorsten Roelcke
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der verschiedenen Höfe bis heute weitgehend unklar ist.
    Im Ganzen ist hiernach festzuhalten, dass die Vereinheitlichung des Deutschen über einen langen Zeitraum eine Entwicklung innerhalb der Schrift- und eben nicht der Sprechsprache darstellt. Und so ist es auch nicht erstaunlich, dass die deutsche Schriftsprache um 1800 verhältnismäßig einheitlich erscheint, jedoch noch einen recht großen Aussprachereichtum zeigt. Ein berühmtes Beispiel hierfür liefert uns Goethe, der dem Gretchen im «Faust» folgende Verse in den Mund legt: «Ach neige,/Du Schmerzensreiche» (was in hessischer Aussprache auf folgenden Reim hinausläuft: …
neische
/…
reische
). Es dauert tatsächlichnoch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis man sich dann im deutschen Sprachraum auf eine einheitliche Aussprachenorm einigen kann.
    Diese Norm, die von Germanisten und Theaterleuten entwickelt wurde, wird 1898 von Theodor Siebs als «Deutsche Bühnenaussprache» in Gestalt eines Wörterbuchs schriftlich erfasst. Die Regelungen, die hier erscheinen, beruhen auf zwei Grundsätzen: Zum einen wird die Schriftsprache, wie sie sich im hochdeutschen Sprachraum entwickelt hat, als Grundlage der zu standardisierenden Sprechsprache anerkannt; zum anderen wird die niederdeutsche Aussprache einzelner Buchstaben als Vorbild für diese Standardisierung angesehen. Was dabei als neuer Standard herauskommt, ist – überspitzt formuliert – eine niederdeutsche Aussprache der hochdeutschen Schriftsprache. Dieser Befund mag auf den ersten Blick überraschen, ist aber angesichts der politischen Geschichte Deutschlands leicht nachzuvollziehen: Die Schriftsprache hatte sich bereits in einer Zeit herausgebildet und gefestigt, in der der hochdeutsche Raum, hier insbesondere auch Sachsen, politisch, sozial und ökonomisch führend war; erst im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich dieser Machtbereich nach Preußen verlagert, sodass eine niederdeutsche Ausspracheregelung für die vorhandene hochdeutsche Schriftsprache nahe lag.
    Die Bühnenaussprache nach Siebs ist bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts geltende Norm, wird jedoch weder im öffentlichen Sprachgebrauch noch auf der Bühne oder in den Medien vollständig anerkannt und umgesetzt. Dies liegt unter anderem daran, dass ein Teil der hier getroffenen Regelungen bereits dem Stand der lautgeschichtlichen Entwicklung im modernen Deutschen entgegensteht. Zwei Beispiele hierfür: Die Norm nach Siebs fordert zum einen, dass das
r
stets als Mitlaut ausgesprochen wird, während es aber nach einem vorangehenden Selbstlaut tatsächlich oft zu einem an
a
angelehnten Selbstlaut umgewandelt wird (vgl. etwa das schriftliche
Tier
mit dem mündlichen
Tia
). Zum anderen legt die Siebs’sche Norm fest, dass das
e
in Endsilben stets deutlich ausgesprochen werden soll, was aber, wie bereits gezeigt, der Tendenz zur Nebensilbenschwächungim Deutschen nicht entspricht. – Diese und weitere Probleme haben schließlich neue Regelungen erforderlich gemacht. Solche werden in den 1960er Jahren entwickelt und haben seither als gemäßigte Hochlautung weit reichende Anerkennung gefunden.
2.4 Schreibung und Rechtschreibung
    Die ersten Versuche, das Deutsche durch eine Buchstabenschrift wiederzugeben, gehen bereits auf den Beginn seiner Geschichte zurück. Sie zeigen dabei allerdings nur wenig Einheitlichkeit. So erscheint etwa das Wort
Christus
‹Gesalbter› in Handschriften des frühen Mittelalters unter anderem in den folgenden Schreibungen:
kris
,
krist
,
kirst
,
crist
,
christ
,
cherist
und
chhrist
. Diese Uneinheitlichkeit der Schreibung im Althochdeutschen , die sich oft auch innerhalb ein und desselben Textes findet, ist durch mindestens zwei Faktoren bestimmt: Zum einen wird mit den lateinischen Buchstaben ein Schriftsystem übernommen, das dem deutschen Lautsystem nach der Zweiten Lautverschiebung nicht ganz entspricht, und zum anderen ist das Deutsche selbst durch zahlreiche mundartliche Verschiedenheiten geprägt, die eine einheitliche Schreibung nahezu unmöglich machen. Geschrieben wird zu dieser Zeit auf Pergament in der sog. Karolingischen Minuskel, einer vereinfachten und vereinheitlichten Schriftart, die schon früh am fränkischen Hof entwickelt wurde, um die Lesbarkeit von Urkunden zu erhöhen.
    Im Hoch- und Spätmittelalter ist die Schreibung ebenfalls noch sehr uneinheitlich (wiederum bis in einzelne Quellen hinein) und spiegelt dabei oft die Art und Weise wider, wie die einzelnen Wörter damals
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