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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Autoren: Janine Kunze
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bekommen, gehört dazu.«
    Sie lächelte. Ich musste auch lächeln. Ich war ihr nicht egal und nie egal gewesen. Sie hatte mich immer geliebt, aber ich hatte das nie sehen können. Weil sie so anders war – ganz anders dachte als meine Familie und ich. Ich war bei meiner Familie aufgewachsen, weil sie wusste, dass ich es dort besser hatte. Eigentlich hatte sie mir damit einen Gefallen getan.
    Ich bewunderte sie für ihre Unabhängigkeit, ihre Durchsetzungskraft und ihren Mut. Gleichzeitig wusste ich, dass ich ihr in diesen Punkten nicht ähnlich war. Viele Dinge, die ihr wichtig waren, waren mir nicht wichtig. Für mich würde es immer eine Bedeutung haben, was andere über mich dachten, ob ich das nun wollte oder nicht. Für mich würde es auch immer wichtig sein, Teil einer Familie zu sein, auch wenn ich dafür mal zurückstecken müsste. Sie war meine Mutter, aber sie war ein anderer Schlag von Mensch.
    Als wir uns verabschiedeten, war für mich alles klar: Ich hatte eine coole Mutter. Und ich hatte viel Glück gehabt in meinem Leben bisher.
    So sicher wie nie zuvor spürte ich, wo ich hingehörte: zu meiner Familie. Dort war mein Platz und nirgendwo sonst. Zusammen mit meiner Familie würde ich ein Zeichen setzen. Die Adoption war der richtige Schritt.
    Ich sah ihr aus dem Fenster der Praxis hinterher. In diesem Moment wusste ich, dass ich sie nicht wiedersehen würde. Ich war nicht mehr traurig und nicht mehr wütend, ich fühlte mich ganz leicht und frei. Und zum ersten Mal seit Jahren nicht mehr zerrissen, sondern ganz.

Erbstücke
    Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten.
Und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe – das einzig Bleibende, der einzige Sinn.
    THORNTON WILDER
    Die Gespräche mit der Psychologin, die Auseinandersetzung mit meiner leiblichen Mutter und die Arbeit im Krankenhaus hatten mich in den letzten Wochen stark in Anspruch genommen. Zu allem Überfluss hatte ich auch noch zwei Wochenend-Lehrgänge belegen müssen, die nur einmal im Jahr angeboten wurden und als Pflichtveranstaltungen im Ausbildungsplan standen.
    Mit meinen Eltern gab es viele Formalitäten zu regeln, die natürlich wie immer Mama in die Hand nahm. Unsere Gespräche und Telefonate drehten sich deshalb fast immer um Praktisches: Auf diesem Antrag fehlte noch eine Unterschrift, jene Dokumente mussten noch besorgt werden und wann hatten alle Zeit für den Notartermin? An den wenigen Wochenenden, die ich zu Hause verbrachte, gab es immer irgendetwas zu organisieren.
    Die Entscheidung, mich mit achtzehn adoptieren zu lassen, hatte alles verändert, aber ich merkte trotzdem, dass wir die letzten Jahre nicht ungeschehen machen konnten. Mama und ich näherten uns vorsichtig einander an, aber es gab viele Wunden, die noch vernarben mussten. Und viele Fragen, über die wir uns vielleicht nie einig sein würden.
    Seit dem Gespräch, an dessen Ende wir uns vor Freude über unsere Entscheidung für die Adoption in den Armen gelegen hatten, hatten wir nicht wieder über die Dinge, die uns beschäftigten, gesprochen.
    Deshalb war ich überrascht, als Mama am Sonntag eine Woche vor meinem achtzehnten Geburtstag an meine Zimmertür klopfte.
    »Ich wollte dir etwas geben«, sagte sie. Sie hielt ein kleines quadratisches Päckchen mit einer roten Schleife in der Hand.
    »Ein Geschenk? Heute schon? Aber ich habe doch erst in einer Woche Geburtstag«, sagte ich überrascht.
    Mama lächelte. »Ich habe etwas für dich aufbewahrt und ich dachte, jetzt wäre eine gute Gelegenheit, es dir zu geben. Jetzt, wo so vieles zu Ende geht und gleichzeitig so vieles neu beginnt.«
    Ich wickelte das Geschenkpapier aus und zum Vorschein kam eine quadratische Schmuckschatulle. Ich öffnete sie und da lag es: Ein goldenes Armband mit grünen Steinen. Es hatte längliche Glieder, die ein bisschen verschnörkelt waren. In jedem Glied saß ein grüner Stein. Die Steine waren gewölbt und wenn man darüberfuhr, fühlten sie sich kühl an. Ich bildete mir ein, einen ganz schwachen Duft nach Kaffee und einem schweren Parfüm wahrzunehmen. Omas Armband!
    Mir schossen Tränen in die Augen. Mama sah mich lächelnd an und nahm mich in die Arme.
    »Familie ist das Wichtigste im Leben. Ich hoffe, dass deine Kinder mich mal genauso lieben werden, wie du deine Oma geliebt hast«, sagte sie leise an meinem Ohr. Schöner und einfacher hätte sie unseren Neuanfang nicht in Worte fassen können.
    Eine Welle der Dankbarkeit durchfloss mich.
    »Ach Mama, du bist die
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