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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung
Autoren: Megan MacFadden
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Als Darion nun auch den Herrn der Nachtschatten in voller Rüstung unter den Kriegern erblickte, wurde ihm klar, dass er an das Nächstliegende nicht gedacht hatte. Gorian war noch nie zuvor gemeinsam mit seinen Kriegern in einen Kampf gezogen, er befehligte seine Truppen vom sicheren Palast aus, denn er hatte viel zu viel Sorge um seine eigene kostbare Person. Es ging um die Quelle. Marian musste versprochen haben, nach dem Wasser des ewigen Lebens zu suchen, und Gorian begleitete sie – beschirmt von einem großen Aufgebot seiner Krieger.
    Ihn, Darion, führte man ebenfalls bei dieser Unternehmung mit, vermutlich um Marian bei passender Gelegenheit erpressen zu können.
    »Was ist denn? Los, weiter! Schlaf nicht ein …«
    Er war stehen geblieben, denn in diesem Augenblick trat Marian aus einem der Seitengänge – auch sie von mehreren Kriegern begleitet. Sie schaute sich suchend nach ihm um, und als ihre Blicke sich trafen, versank Darion in der Tiefe ihrer schönen Elbenaugen. Kein Jammer und keine Verzweiflung herrschten dort, er sah grünende Täler und Bäume, die mit rosigen Blüten bedeckt waren. Was träumte sie? Worauf hoffte sie?
    »Vertrau ihm nicht!«, rief er ihr zu. »Tu nichts um meinetwillen, was du später bereuen würdest!«
    Er fing ihr Lächeln auf, dann erhielt er einen harten Stoß mit dem Knauf des Schwertes und taumelte voran, sich mühsam den Schmerzenslaut verbeißend. Glaubte Marian wirklich, die Quelle finden zu können? Oder führte sie Gorian an der Nase herum? Wollte sie Zeit gewinnen? Ach, er wusste ja, dass sie alles Erdenkliche tun würde, um sein Leben zu retten! Ihre Liebe stellte nun auch ihrer beider Unglück dar, denn sie machte sie verletzlich und schwach.
    Während man dem Bergpfad folgte, quälten ihn tausend Gedanken und Mutmaßungen. Wohin führte Marian sie? Hin und wieder ließ er seinen Blick nach oben schweifen, wo zwischen den aufsteigenden Nebeln die schwarzen Ränder der Bergschlucht sichtbar wurden. Kahl und gezackt ragte der Grat in den immer heller werdenden Morgenhimmel, hie und da sah man jetzt Vögel, die den Flug über die Schlucht wagten und die empordampfenden Nebel kreuzten. Ein Adlerpärchen war darunter, prächtige kühne Tiere, die einander auf ihrer Flugbahn immer wieder begegneten und von den boshaften Möwen eifrig belästigt wurden.
    Falls Aladion seinen Plan wahr machte, bot sich ihm jetzt eine gute Gelegenheit. Gorian hatte einen großen Teil seiner Krieger vom Palast abgezogen, mit dem Rest, der noch dazu ohne Anführer war, würde der Abtrünnige leicht fertigwerden. Auch er kannte den Palast und sein verwirrendes Höhlensystem – möglicherweise wusste er dort sogar besser Bescheid als Darion.
    Er hörte die Nachtschattenkrieger murren, denn obgleich der Himmel nun von Wolken verhangen war, bereitete es ihnen wenig Vergnügen, bei Tag durch das Gebirge zu laufen. Sie mussten sich fügen – die Königin der Lichtelben würde den Weg keinesfalls in dunkler Nacht finden. Darion beobachtete, wie seinen Begleitern die Augen tränten, und empfand dabei eine boshafte Genugtuung. Seine eigenen Augen hatten sich inzwischen an das diesige Licht eines trüben Tages gewöhnt, aber diese Weichlinge heulten schon bei blässlichem Morgenschein.
    Die Halbinsel mit den schroffen Felsen und Gorians Palast lag hinter ihnen, der lange Zug der Nachtschattenkrieger bewegte sich in westlicher Richtung über das sanft gewellte Land, durchquerte kleine Wäldchen, in denen jetzt schon die ersten lindgrünen und rostroten Blättchen leuchteten, überstieg Bachläufe, schritt durch Wiesen von frühlingshaftem Grün. Gorian gönnte ihnen keine Rast, stattdessen befahl er seinen Kriegern, die Lichtelbin Marian auf ihren Schultern zu tragen, damit man schneller vorankam.
    Wie war es ihr gelungen, Gorian weiszumachen, sie wüsste den Weg zur Quelle? Der Herr der Nachtschatten musste felsenfest von dieser Tatsache überzeugt sein, sonst hätte er nicht eine solch aufwendige Unternehmung gestartet. Aber hatte Sereno nicht behauptet, der Ort, an dem die Quelle sich einst befand, wäre in dem Elbenbuch nicht beschrieben?
    Und wenn er gelogen hatte, der listige Professor? Hatte er sein Wissen vor Marian geheim gehalten, weil er fürchtete, sie könnte ihm entfliehen und die Quelle allein zum Leben erwecken?
    Darion verfluchte seine unglückliche Lage – wenn er doch nur mit Marian hätte sprechen können! Sie sollte wissen, dass er den Tod nicht fürchtete. Lieber wollte er
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