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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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Atomkatastrophe nicht weniger real war als heute etwa die Gefahr allgemeiner Drogensucht, machte dieser Film auf die ganze Welt einen solch schrecklichen und mächtigen Eindruck, dass die Vereinten Nationen sogar den Beschluss fassten, ihn am sogenannten Weltfriedenstag in allen Ländern gleichzeitig zu zeigen. Sogar unsere obersten Chefs rangen sich zu diesem Schritt durch und zeigten am Weltfriedenstag Das letzte Ufer in einem [!] Moskauer Kino. Sie hätten ihn übrigens auch gar nicht zeigen können – bekanntlich war uns Sowjetmenschen jede Angst vor einer Atomkatastrophe fremd und unverständlich: Wir waren ohnehin überzeugt, dass uns keinerlei Atomkatastrophe drohte, sondern nur den verrotteten imperialistischen Regimes des Westens.)
    Der Film erschütterte uns buchstäblich. Das Bild von den letzten Tagen der Menschheit, die im Sterben lag, fast schon gestorben war, unter den Klängen der durchdringend traurigen Melodie von »Waltzing Mathilda« langsam und für immer vom radioaktiven Nebel eingehüllt wurde … Ich weiß noch, als wir in die fröhlichen, sonnigen Straßen Moskaus hinaustraten, gestand ich Arkadi, dass ich Lust hatte, jedem Militär vom Oberst an aufwärts, der uns über den Weg lief, in die Fresse zu hauen und zu schreien: »Hört auf, ihr Arschlöcher, hört sofort auf!« Arkadi empfand ungefähr das Gleiche. (Doch was hatten, recht betrachtet, die Militärs damit zu tun, und sei es vom Oberst an aufwärts? Ging es denn um sie? Und womit hätten sie eigentlich sofort aufhören sollen?)
    Selbstverständlich war es vollkommen, eindeutig und unbedingt ausgeschlossen, einen Katastrophenroman mit heutigem, sowjetischem Stoff zu schreiben, aber uns drängte es gar so sehr, eine sowjetische Version von Das letzte Ufer zu machen: tote Einöden, angeschmolzene Stadtruinen, der eisige Wind kräuselt das Wasser auf leeren Seen, schwarze Erdhütten, Menschen, die vor Leid und Angst schwarz sind, und über allem eine gebetsartige Melodie: »Die Enten ziehen, die Enten ziehen, zwei Gänse dabei …« Wir durchdachten alle möglichen und unmöglichen Varianten solch eines Romans (er hatte sogar schon einen Titel: »Die Enten ziehen«), entwarfen Episoden, zeichneten in Gedanken Bilder und Landschaften und wussten dabei: Das ist alles unnütz, es wird nichts dabei herauskommen – nicht zu unseren Lebzeiten.
    Fast sofort nach der Beratung fuhren wir zusammen auf die Krim, und dort fanden wir endlich den Weg, wie man das alles machen kann: Wir mussten einfach in eine Welt ausweichen, in der es keine Atomkriege gibt, aber – leider! – immer noch Katastrophen. Zumal wir diese Welt schon vorher erfunden, durchdacht und erschaffen hatten und sie uns fast ebenso wirklich erschien wie die, in der wir lebten.
    Die erste dokumentierte Erwähnung:
    15. 9. 62 – Arkadi: »Ich denke über die ›Katastrophe‹ nach. […] habe ich eine Episode erfunden: In dem Augenblick, da die Welle entsteht, sind viele Menschen außerhalb, in den unermesslichen Weiten des Planeten. Man beginnt fieberhaft nach ihnen zu suchen. Und da sind zwei – er und sie –, die am Ufer eines Flüsschens zelten. […] Nachdem sie erfahren haben, worum es geht, weigern sie sich zurückzukehren. ›Wozu?‹, sagen sie. ›Wir werden es hier abwarten. Wir bekommen sowieso keinen Platz in der Rakete.‹ Doch man weist sie darauf hin, dass es in der Stadt viel zu tun gibt, die Rakete muss aus- und umgerüstet werden, jedes Paar Hände wird gebraucht. Aber das Problem ist: Zurückzukehren ist ihnen zuwider. Angesichts des unausweichlichen Todes befällt den Menschen Passivität. Wie sollen sie sich verhalten?«
    Auch Boris dachte hartnäckig über das Thema nach. Es sind Notizen erhalten geblieben. Vielfältige Varianten der Reaktion der verschiedenen Helden auf das Geschehen, fertige Episoden, ein ausführliches biografisches Porträt Robert Skljarows, ein detaillierter Plan »Die Welle und ihre Entwicklung«, eine interessante »Bevölkerungsstatistik« des Regenbogens:
    500 Menschen, davon:
    100 Kinder (Krippe, Kindergarten, Schule)
    20 Erzieher
    40 Wissenschaftler auf dem Gebiet der Null-Physik
    20 Planetologen
    50 Bauleute
    50 Ernährungs-/Entsorgungstechniker
    20 Verwaltungsapparat, Koordination (einschl. Funker, Ingenieure, statist. Maschinen u. a.)
    50 Touristen ohne bestimmte Beschäftigung
    20 Künstler (Schriftsteller, Maler, Komponisten, angezogen von der Stille und Ruhe)
    20 Testflieger, die vor erzwungener Untätigkeit wahnsinnig
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