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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke
Autoren: Robert Musil
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(kriegerische) Mann ist zu erhalten, der Krieg aber zu vermeiden. Oder: Der Mann ohne Eigenschaften, aber ohne Dekadenz.
    Der Mann, der alles prüft und sich nach seinem Gewissen entscheidet, ist ein Atavismus.
    Der naturwissenschaftliche Mensch ist das Kind, das sein Spielzeug auseinandernimmt, der geisteswissenschaftliche der, der sich an ihm erregt. Ohne und mit Phantasie spielen ––––– Aber jeder weiß, daß man das Zerlegen nicht mehr wirklich verbieten kann. Also ist es wichtig, den entscheidenden Unterschied zu isolieren, das Hormon der Phantasie zu gewinnen, und das ist das ganze Bemühen um den «anderen Zustand».
    Band II: ––––– Man wird sagen, in diesem Band seien nur Minusvarianten des Menschen beschrieben, Lächerliches, Krankes, Entgleisungen. Wenn ich nicht eine Gegenfigur einführen will, kann das nur durch die Art des Vortrags ausgeglichen werden.
    Ironische Abwehr des Einwands, daß nur böse Menschen geschildert werden: Die guten Menschen sind für den Krieg. Die bösen gegen ihn!
    Im Ganzen muß der Roman wohl das «gute Böse» erfinden und darlegen, da es die Welt mehr braucht als die utopische «gute Güte».
    [◁]
2
    [Frühe Studien und «Ideenblätter»]
    Altes Herrschaft über die Welt-Motiv jeder Generation ist auch das Ulrichs. Die Opposition gegen den Vater-Typus treibt ihn zur Technik und von da zur «modernen» Philosophie.
    Die Generation der Väter ––––– behandelte die Generation Ulrich wohlwollend als Utopisten, die ein wenig unverständlich in ihrem (Dekadenz-) Geschmack sei. ––––– Utopie ist alle geistige Forderung; aber sie wird nicht ohne Väterlichkeit abgelehnt, darauf ist zu achten.
    Der Optimismus, den man als schaffender Mensch doch immer wieder hat, und der Ekel vor dem was geschieht, sind die beiden Kopfpfeiler des Ganzen.
    Erlöseridee: Vor 1910, als Ulrich jung war, gab es fin de siècle, neue Wahrheit Weltaufbau. Mit anderen Worten Analyse und Emersonsche Zuversicht. Morbid und technoid. Alles Morbide war natürlich eine Kraftmode. Noch früher gab es den Naturalismus. Wenn man das hinterdrein analysiert, so sind das sehr verschiedene Dinge. Die Beteiligten bemerkten aber den Unterschied kaum. Es waren eben bloß verschiedene Ausdrucksweisen des gleichen Willens, Kraftgefühls und so weiter. Mit anderen Worten, es gab eine Sekte. Man fühlte sich zusammengehörig, auch wenn man gar nicht zusammenpaßt.
    Diese Phase war vom Ausland beeinflußt. Dieses war also vorgeschrittener? Um einige Jahre. Das Problem wurde dort ebenso wenig gelöst. Die Bewegung verflachte auch dort. Nur noch cachiert, weil noch kein Zusammenbruch eintrat.
    (Das wäre Erlöser I, II. Dann käme Katakombe , wo die Heilung von der Wurzel aus noch einmal versucht wird.)
    Bei Ulrich hatte es die spezifische Form des die Welt anders Denkens –––––
    Die Naturalisten erschienen ihm wie Vorläufer seiner selbst, weil sie keinen Geist hatten, kompakte, wertlose Menschen waren, nichts von Nietzschescher Differenziertheit der Welt wußten. Nur weil sie unmoralisch waren, erschienen sie ihm gut. Ebenso interessierte ihn an den Morbiden durchaus nicht die Sensation, das subtile Erlebnis, sondern nur der Gegensatz gegen die Normalität hatte seine Sympathie. Einerseits war das also die stärkere Intellektualität, die ihn schon damals von den Genossen trennte –––– Die Vätergeneration war: Intellektualität, aber ungenügend im Moralischen. Die Negation ist seine ursprüngliche Stellung: Auch im Moralischen ausreichende Intellektualität.
    Das Ganze war aber – den Beteiligten unbewußt, weil über das enge historische Blickfeld hinausreichend, – nur eine Phase in folgendem Prozeß: 1870 hatte sich ein großer europäischer Organismus konstituiert. Bis 1890 zehrte er den übernommenen Ideenfond auf; war im Kampf gegen Gründertum, Kriegsnachrausch und dergleichen tugendhaft, bis alle Ideen leer waren. Dann kam um 1890 die geistige Krisis, Wehen einer eigenen Seele. Dieser Versuch mißlingt. Die um 1910 auftretende Erlöseridee ist bereits Resignation, ebenso die Wendung zu Religion und Seele. Die Synthese Seele-Ratio ist mißlungen. Das führt in direkter Linie zum Kriege. Deutsche Geschichte als Paradigma der Weltgeschichte. (Sichtbarer, weil der Organismus neu ist.) Deutschland als Weltvorbild, Weltheiland. Muß also mit einer gewissen Sympathie in aller Ironie geschrieben werden.
    Das war –– die geistige Situation vor dem Krieg; sie war ohne
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