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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel
Autoren: Ronald Dworkin
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Theorie der Verantwortung entwickeln, die stark genug ist, um folgende Aussagen rechtfertigen zu können: »Ich bin nicht Ihrer Meinung, sehe aber, daß Sie in Ihrer Argumentation Integrität beweisen. Ich spreche Ihrer moralischen Verantwortlichkeit meine Anerkennung aus.« Oder: »Ich stimme mit Ihnen überein, denke aber, daß Sie sich Ihre Meinung nicht in einer verantwortlichen Weise gebildet haben. Sie haben eine Münze geworfen oder glauben einfach, was Sie auf einem voreingenommenen Fernsehsender hören. Daß Sie bei der Wahrheit gelandet sind, ist ein bloßer Zufall.«
    32 Eine solche Theorie der moralischen Verantwortung könnte man auch als Moralepistemologie bezeichnen, was vielleicht respektabler klingt. Wir können mit der moralischen Wahrheit nicht in irgendeiner kausalen Form »in Kontakt« stehen. Dennoch scheint es bessere und schlechtere Weisen zu geben, über moralische Fragen nachzudenken. Welche konkreten Überlegungen gut sind und welche schlecht, ist natürlich selbst eine moralische Frage, denn die Moralepistemologie gehört zur substantiellen Theorie der Moral. Wir greifen auf bestimmte Aspekte unserer jeweiligen umfassenden Wertetheorie zurück, um Überlegungen hinsichtlich anderer Aspekte zu überprüfen. Aus diesem Grund müssen wir sicherstellen, daß jener erste Teil unserer Theorie von den anderen Teilen hinreichend unterschieden ist, um weiterhin eine Kontrollfunktion ausüben zu können. Mit dieser Zusammenfassung habe ich meine Hauptthese über das moralische Denken bereits vorweggenommen: Im sechsten Kapitel werde ich argumentieren, daß moralisches Denken interpretativ sein muß.
    Unsere moralischen Urteile sind Interpretationen moralischer Grundbegriffe, die wir überprüfen, indem wir sie in einem umfassenderen Rahmen der Werte situieren, um zu sehen, ob sie mit den überzeugendsten Konzeptionen der anderen Begriffe zusammenpassen und von diesen gestützt werden. Wir verallgemeinern also den von mir skizzierten interpretativen Ansatz und wenden ihn auf alle unsere moralischen und politischen Begriffe an. Die Moral ist insgesamt und nicht nur im politischen Bereich ein interpretatives Unterfangen. Gegen Ende des achten Kapitels werde ich die moralischen, politischen und ethischen Theorien von Platon und Aristoteles als klassische und paradigmatische Beispiele für diesen interpretativen Ansatz diskutieren.
    Im zehnten Kapitel wende ich mich einem altbekannten Einwand zu, der meiner Theorie der Verantwortung gänzlich die Grundlage zu entziehen droht, nämlich dem scheinbar katastrophalen Gedanken, daß wir für nichts verantwortlich sein
33 können, da wir keinen freien Wille haben. Ich vertrete hier die in der Philosophie als »kompatibilistisch« bezeichnete Position, daß Verantwortlichkeit mit allen Annahmen vereinbar ist, die wir sinnvollerweise über die Ursachen unserer Entscheidungen und die neuronalen Konsequenzen dieser Entscheidungen in Betracht ziehen können. Meines Erachtens hängt die Art und die Reichweite unserer Verantwortlichkeit für unsere Handlungen von der ethischen Frage ab, was eine gelungene Lebensführung ausmacht. Mir ist an dieser Stelle ebenso wie im Rest des Buches wichtig, zwischen der Ethik, die sich um die Frage der gelungenen Lebensführung dreht, und der Moral, in der es darum geht, wie wir uns anderen gegenüber zu verhalten haben, klar zu unterscheiden.
    Ethik
    Wie also sollten wir leben? Im dritten Teil dieses Buches vertrete ich die Auffassung, daß wir eine souveräne ethische Verantwortung haben, etwas Wertvolles aus unserem Leben zu machen, so wie ein Maler aus einer Leinwand ein Bild macht. Daß diese ethische Verantwortung objektiv ist, ergibt sich aus den hoffentlich überzeugenden Überlegungen im ersten Teil zur Wahrheit in der Sphäre der Werte. Unser Wunsch, ein gelungenes Leben zu führen, beruht auf unserer Erkenntnis, daß wir das tun sollten, und nicht andersherum. Im vierten Teil zeige ich, daß all unsere verschiedenen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen anderen gegenüber sich auf diese persönliche Verantwortung für das eigene Leben zurückführen lassen. Aber nur im Rahmen spezifischer Rollen und unter bestimmten Umständen – vor allem und prinzipiell im Bereich der Politik – gehört zu diesen Verantwortlichkeiten gegenüber anderen auch eine Verpflichtung auf Unparteilichkeit im Verhältnis von ihnen und uns.
    Die Gestaltung des eigenen Lebens muß als Herausforde
34 rung begriffen werden, die besser oder
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