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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust
Autoren: Jürg Federspiel
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verbeugte sich.
    Toaka und Natsuki tauschten keinen Blick. Sie gerieten nicht aus der Fassung.
    »Mr. Ayakara«, sagte Laura, »ich danke Ihnen für die Übermittlung des Auftrags. Sie haben meine Agentin und Freundin Lucia Florestano bestens beraten. Keiner Ihrer neun Finger soll Ihnen gekrümmt werden. Ohne Sie wäre ich nicht hierhergekommen. Ich danke Ihnen.«
    Diesmal verbeugte sich Laura, und Ayakara, der wieder in die Reihe zurückgetreten war, blieb ausdruckslos und stumm, fast kindisch.
    »Sie sind also mit unserem Angebot einverstanden?« fragten Toaka und Natsuki; Toaka hatte den Satz begonnen, und Natsuki hatte ihn zu Ende geführt.
    »Im Prinzip ja«, antwortete Laura nach langer Pause.
    »Dennoch möchte ich Sie bitten, mir diese Frage zu beantworten. Nämlich, es geht die Kunde, daß vor allem frische Haut gefragt ist. Die Haut von Toten wird, so glaube ich zu wissen, rasch bläulich, im Gegensatz zur lebenden Haut. Sie wissen, wovon ich rede.«
    »Wir können warten«, antwortete Toaka. »Sie sind zwar noch jung, und ich werde lange vor Ihnen sterben, aber es geht um Kunst. Um Omai O'Haras Kunst. Ich, Sohn eines Samurai, glaube an die Tradition, an die japanische Tradition.«
    »Klingt gut«, sagte Laura, »ich glaube Ihnen sogar, dennoch –«
    Diesmal verbeugte sich Natsuki und fuhr fort: »Sie haben unser Wort. Samurai. Was wir von Ihnen verlangen, Miss Granati, ist folgendes: Wir beanspruchen, wo immer Sie sich befinden, die Option, daß Sie sich wöchentlich einmal melden, schriftlich oder telephonisch. Jede Nachlässigkeit wird Folgen haben. Für Sie und Ihren Mann. Wir werden Sie bei Wortbrüchigkeit finden. Wo auch immer.«
    Laura reckte ihr Kinn in die Höhe.
    »Ich bin Italienerin, genügt Ihnen das?«
    Die beiden Mächtigen nickten.
    »Soll ich einen Vertrag unterschreiben?« fragte sie.
    »Ihr Wort genügt«, sagte Natsuki. »Wir danken Ihnen. Das Geld befindet sich in zwei Tagen auf Ihrer Bank.«
     
    Daß Omai O'Hara in einer Pause, in der er sich von seiner rasenden Kreativität erholte, Lucia eine Gazelle auf ihren Klumpfuß gezeichnet hatte, signiert sogar, wußte Laura nicht.
    Der Mann, der dies wußte, war Naoya Ayakara.

NEUNZEHN
    Drei Tage später erhielt Laura die Mitteilung, die Million sei überwiesen worden. Sie freute sich riesig und kaufte ein amerikanisches Kochbuch, um David mit feinen Menüs zu verwöhnen. Er verzehrte genüßlich den Hammelbraten mit gebackenen Kartoffeln und mit sour cream, bemerkte jedoch, er habe zeit seines Lebens – zweiunddreißig Jahre lang – Pizza gegessen, aus Geldmangel essen müssen. Und nun sei Pizza seine Lieblingsspeise.
    Laura heulte vor Zorn und verhöhnte seine und seiner Landsleute lächerliche Vorstellung von einer Pizza. Sie schrie auf italienisch drei Minuten lang; jeder Kenner von Frühstückseiern weiß, daß das sogenannte Drei-Minuten-Ei vier Minuten benötigt, um dem Eiweiß eine solche Konsistenz zu verleihen, daß es mit dem Löffelchen fein säuberlich zu essen ist. Laura brüllte also vier Minuten lang, und David Dublin Delaware hörte begeistert zu. Diese Sprache! Diese Musik! Laura hielt unversehens inne. »Was verschwende ich da Kräfte meiner Seele für eine Person, die kein Wort verstehen kann?«
    Dann schmetterte sie einen Stoß von Wedgewood-Tellern auf den Boden. Es scherbelte. »Das waren fünf Stück«, bemerkte David lakonisch. Laura betrachtete die Scherben. »Stimmt. Wie konntest du das erkennen?«
    »Ein Blinder, der unmusikalisch geboren wurde, muß früher oder später musikalisch werden. Sonst hat er ein trauriges Leben.«
    »Verzeih«, sagte sie und setzte sich auf seinen Schoß. »Ich krieg' ein Kind. Hättest du Lust, Italienisch zu lernen?«
    Er überlegte, und sie begann wiederum zu schreien. Diesmal auf englisch.
    Er verabreichte ihr liebevoll eine Maulschelle. Sie freute sich.
    »Ich überlege«, sagte er. »Es handelt sich nämlich um die Reihenfolge. Erstens: Du kriegst ein Kind. Zweitens: Du fragst, ob ich Italienisch lernen möchte. Richtig?«
    Laura fuchtelte vor Verzweiflung mit den Händen. »Freust du dich nicht?« Sie schrie wieder. »Wie viele Frauen hast du eigentlich schon gehabt? Neun? Elf? Vierunddreißig? Hundertelf oder mehr?«
    »Wenn ich die erste Frage beantworte, so erübrigt sich die zweite.«
    »Was soll das heißen?«
    »Wenn du ein Kind kriegst, möchte ich natürlich Italienisch lernen.«
    »Italienisch lernen kann man nur in Italien. Wie viele Frauen hast du
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