Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gemma

Gemma

Titel: Gemma
Autoren: Petra Last
Vom Netzwerk:
sie den Kopf hob und
Gemma mit ihren kleinen Augen ansah.
    »Warum weckst du mich?«, wollte sie unwirsch
wissen.
    »Die Pferde brauchen eine Pause. Wir sind in
einem Gasthof und werden bis morgen früh hier bleiben. Ich glaube nicht, dass
du in der Kutsche schlafen möchtest, oder?«
    »Freches Balg«, murmelte Ethel und schälte sich aus ihren Decken.
»Dir werde ich deine hochnäsige Art schon noch austreiben.«
    »Was hast du gesagt, Tante Ethel?«, fragte
Gemma, die in der Zwischenzeit ihre Tasche von ihrem Sitz genommen hatte.
    »Nichts, gar nichts«, schnaufte Ethel und schwang ihre Massen mit
Gemmas Hilfe aus der Kutsche.
    Missmutig betrachtete sie die Unterkunft. »Konntest du nichts
Besseres auftreiben? Warum steigen wir in so einer Baracke ab?«
    Gemma seufzte. »Der Fahrer sagt, die Pferde können nicht mehr und
es sei ziemlich weit bis zur nächsten Herberge. Wenn du unbedingt willst,
fahren wir weiter.«
    »Gibt es da drinnen was zu essen?«
    »Die Wirtin versicherte mir, dass sie auch Speisen reichen.«
    Der Gedanke an etwas Essbares ließ Ethel ihre Schritte beschleunigen.
Ohne Gemmas Hilfe wäre sie einige Male in Pferdedung getreten, aber das schien
sie gar nicht zu bemerken.
    An der Tür des Rasthofes blieb sie stehen und sog den Geruch in
ihre Nase.
    »Ahh«, seufzte sie zufrieden, »das riecht
gut.«
    Zweifelnd sah Gemma erst sie und dann noch
einmal das Innere der Gaststätte an. Sie fand weder, dass es gut aussah,
noch, dass es gut roch, aber anscheinend schien es ihrer Tante zu gefallen.
    Ethel durchquerte den Schankraum und ließ sich auf eine Holzbank
beim Feuer fallen. Die Flammen sandten eine beinahe schon unangenehme Hitze
aus, und Gemma rückte so weit wie möglich von der Feuerstelle ab.
    Die Wirtin brachte das Essen, nicht ohne Gemma
noch einmal wütend anzufunkeln. Mit einem heftigen Ruck setzte sie die
Steingutschüsseln vor Gemma und ihrer Tante ab, wobei einiges der dicken Suppe
über den Rand auf die Tischplatte schwappte.
    Gemma bedankte sich trotzdem, während ihre Tante bereits begonnen
hatte, die dicke, fettige Kohlsuppe in sich hineinzuschaufeln. Zu Gemmas
Überraschung war das Gericht weitaus schmackhafter, als es den Anschein hatte,
und sie aß mit gutem Appetit. Allerdings verzichtete sie, anders als Tante
Ethel, auf eine zweite Portion. Der Eintopf verschwand so schnell, dass Gemma
kaum ihren Augen traute. Man konnte meinen, Ethel habe seit Tagen nichts
gegessen, dabei hatte sie erst zum Mittag eine große Portion gebratenes
Lammfleisch mit Brot und Soße vertilgt.
    Nachdem auch Ethel mit Essen fertig war, begaben sie sich ins
obere Stockwerk, wo die Gästezimmer waren. Der Geruch aus der Schankstube
durchzog das ganze Haus und Gemma grauste bei dem Gedanken, dass er sich über
Nacht in ihren Kleidern festfressen würde.
    Das Zimmer war zwar langgestreckt und eng, aber wenigstens hatte
es zwei Betten, die hintereinander an der langen Wand unter den Fenstern
standen. Die Matratzen waren lediglich mit Stroh gefüllte Säcke, die schon
bessere Tage gesehen hatten, wie alles in diesem Gebäude, aber wenigstens lag
wie gefordert saubere Bettwäsche bereit. Natürlich waren die Betten noch nicht
neu bezogen, aber es störte Gemma nicht, die alte Bettwäsche zu entfernen und
die frischen Betttücher und Bezüge selbst aufzuziehen.
    Ethel machte sich nicht die Mühe, die schmutzige Bettwäsche gegen
frische auszuwechseln, sondern entledigte sich lediglich ihres Kleides und fiel
auf den Strohsack, der unter ihrem Gewicht bedrohlich nachgab. Beinahe
augenblicklich fing sie wieder an zu schnarchen. Gemma schüttelte den Kopf und
breitete dann neues Bettzeug über ihre eigene Schlafstatt. Sie entkleidete sich
bis auf ihre Unterwäsche und verwarf den Gedanken, ein Nachthemd anzuziehen.
Wahrscheinlich war ihre Wäsche in ihrer Truhe besser aufgehoben. Die
Lavendelsäckchen würden hoffentlich den Geruch der Herberge abhalten.
    Nachdem sie sich gewaschen hatte, kroch auch
sie unter die Laken. Ihr Blick suchte den Mond, der eine milchigweiße Bahn ins
Zimmer zeichnete. Immer wenn sie sich als Kind einsam gefühlt hatte, hatte sie
den Mond angesehen, und daran gedacht, dass irgendwo auf der Welt ihr Vater genau
den gleichen Mond betrachtete und dabei an sie dachte. Das hatte sie immer
getröstet und auch jetzt verspürte sie diesen Trost, obwohl ihr Vater den Mond
diesmal nicht sehen konnte. Aber wer weiß, vielleicht dachte er trotzdem
irgendwo an sie ...
    Derart getröstet schlief sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher