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Gemma

Gemma

Titel: Gemma
Autoren: Petra Last
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Gedanken gemacht hätte. Schlichtes
Schwarz spiegelte am ehesten die Empfindungen ihrer Seele wider.
    Ethel gefiel es, hatte sie doch ein
zusätzliches Dienstmädchen. Gemma verbrachte die meiste Zeit in der Küche beim
Kochen und Waschen. Die Köchin verstand nicht, dass sie sich das gefallen ließ,
aber Gemma war es egal. Anfangs kroch die Zeit im Schneckentempo dahin, aber
bereits nach einigen Wochen hatte sich Gemma an den Trott gewöhnt. Sie lebte
nur noch einen Tag nach dem anderen, immer das Ziel vor Augen, dass sie mit
ihrem einundzwanzigsten Geburtstag endlich frei sein würde. Abends und nachts
las sie ihre Bücher, das Einzige, das ihr von ihrem Vater geblieben war, und
versuchte, jedes Wort in Erinnerung zu behalten. Das half ihr mehr als die
Arbeit, ihre fünf Sinne beieinander zu halten, wenn die Trauer sie zu
übermannen drohte.
    Und am Tag zuvor war plötzlich Ethel in die Küche gekommen,
etwas, das sie sonst nur tat, wenn sie sich außer der Reihe etwas zu essen
holen wollte und Onkel Cedric es nicht merken sollte. Gemma bedauerte ihren
Onkel zutiefst. Cedric Robbins hatte in seinem eigenen Haus nichts zu sagen und
wirkte älter, als er tatsächlich war. Ethel hatte gleich nach der Heirat das
Zepter an sich gerissen und es seitdem nicht wieder aus der Hand gegeben. Es
war selten, dass Gemma ihren Onkel Cedric sah, und manchmal fragte sie sich,
was ihn und ihre Tante eigentlich verband. Sie verstand einfach nicht, dass
Cedric sich nicht durchsetzte, aber anscheinend war er mit der Art, wie Ethel
sein Leben regierte, zufrieden. Manchmal versuchte Gemma, sich daran zu
erinnern, wie glücklich ihre Eltern miteinander gewesen waren. Es fiel ihr
schwer, sich das Bild ihrer Mutter vor Augen zu rufen, aber ihr Vater hatte ihr
immer versichert, dass sie das Ebenbild seiner Frau war.
    Es gelang ihr aber irgendwie nicht, die Beschreibung ihres Vaters,
ihre Mutter wäre wunderschön gewesen, mit ihrem eigenen Spiegelbild in Einklang
zu bringen. Sie war nicht sonderlich hübsch
und bestimmt nicht wunderschön. Ihr Gesicht war zu dünn, und sie bekam
Sommersprossen auf der Nase, wenn sie nicht aufpasste. Ihr Mund war zu groß,
als dass man ihn als schön bezeichnen könnte. Das Einzige, was ihr selbst
gefiel, waren ihre Augen, und selbst die wirkten in ihrem schmalen Gesicht viel
zu riesig. Nein, sie war beileibe keine Schönheit.
    Und ihr Körper erst – eine einzige
Katastrophe. Im ersten Jahr nach dem Tod ihres Vaters hatte es sie nicht gekümmert,
wie sie aussah, aber nach Ablauf des Trauerjahres hatte Tante Ethel ganz
entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit darauf bestanden, für Gemma einige neue
Kleider zu bestellen. Als junge Frau brauchte sie auch einige farbenfrohe
Kleider, hatte sie gemeint, nicht dass Gemma seitdem viel Gelegenheit gehabt
hätte, sie zu tragen, sondern noch immer in ihrer Trauerkleidung in der Küche
stand. Bei den Anproben jedoch war ihr zum ersten Mal bewusst geworden, dass
sie nicht allzu viele frauliche Rundungen aufwies. Tante Ethel hatte keine
Gelegenheit ausgelassen, ihren Mangel an körperlichen Reizen hervorzutun: dass
Gemma viel zu lange, schlanke Beine habe, was überhaupt nicht modern sei, dass
ihre Hüften zu schmal seien und ihre Taille zu schlank, nichts, was einen Mann
dazu bewegen könnte, einen zweiten Blick zu riskieren. Und schließlich ihr
Busen ... Gemma wurde jedes Mal rot, wenn sie daran dachte, wie Tante Ethel sie
vor der Schneiderin kritisiert hatte, als wenn es ihre Schuld sei, dass sie
keine ausladende Oberweite hatte, sondern kleine feste Brüste, die auch mit
einem festgeschnürten Korsett kaum aus dem Ausschnitt quellen würden, wie ihre
Tante es sich offenbar vorstellte. Sie würde es Tante Ethel auch nicht auf die
Nase binden, dass ihr Busen erst seit einem Jahr überhaupt zu wachsen begonnen
hatte.
    Gemma störte sich nicht sonderlich an der Kritik ihrer Tante.
Immerhin hatte sie ja sowieso nicht vor zu heiraten, wozu sollte sie da also weibliche Reize entwickeln? Etwa um sich einen
Mann zu angeln? So glücklich ihre Eltern auch miteinander gewesen waren – die
Realität sah meistens anders aus, und Gemma verspürte nicht die geringste
Lust, ihre Freiheit, sollte sie sie jemals erlangen, für einen Mann aufzugeben.
Denn nichts anderes bedeutete Heirat für sie: All ihr Hab und Gut würde in den
Besitz ihres Mannes übergehen, einschließlich sie selbst. Sie hätte keine
eigenen Rechte und müsste sich in allem fügen, außer sie würde ihren Ehemann
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