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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt
Autoren: Len Deighton
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regelmäßiger Gymnastik und vernünftiger Eßgewohnheiten hielt er sich körperlich gut in Form. Um die Speisekarte zu studieren, setzte er seine eingeschliffene Brille auf, aber das meiste konnte er ohne sie erledigen – auch die Leute, mit deren Liquidierung er seinen Lebensunterhalt verdiente. »Steak und Salat«, sagte er, »blutig.«
    »Es gibt Tafelspitz heute«, sagte Werner.
    »Nein, danke. Ist mir zu kalorienreich«, sagte Thurkettle. Er wußte, worum es sich bei der hiesigen Version eines neuenglischen Gerichts handelte: gekochtes Rindfleisch, gekochte Kartoffeln und gekochtes Rübengemüse. Niemals wollte er diesen Mischmasch wiedersehen, er hatte es im Gefängnis gegessen. Schon der Anblick oder der Geruch eines Tellers mit gekochtem Rindfleisch und Kohl war hinreichend, ihm all die Jahre in Erinnerung zu rufen, die er in der Todeszelle verbracht hatte, immer in Erwartung des Henkers, in einem Hochsicherheitsgefängnis neben vielen anderen Männern, die man vielfachen Mordes schuldig gesprochen hatte.
    »Vielleicht sollte auch ich auf den Tafelspitz verzichten«, sagte Werner bedauernd. »Steak, nicht durchgebraten, und Salat, zweimal«, bestellte er beim Kellner.
    Es war Sonntag vormittag. Sie waren in West-Berlin. Bei Leuschner. Das war ein volkstümliches Café, einer Scheune nicht unähnlich, mit goldgerahmten Spiegeln längs einer ganzen Wand und einer langen Theke, hinter der einer der Gebrüder Leuschner bediente. Aus der Jukebox ertönte ein Beatles-Song, gespielt von der Kapelle der Irish Guards.
    Eigentlich war die Jukebox mit Hardrockplatten bestückt

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    gewesen, aber einer der Leuschners hatte diese durch Musik nach seinem Geschmack ersetzt. Werner sah sich um und sah viele vertraute Gesichter. An solchen Sonntagvormittagen zog das sonst nicht von der Szene favorisierte Lokal eine lärmende Menge von dienstfreien Glücksspielern, Musikern, Schleppern, Taxichauffeuren, Zuhältern und Nutten an, die sich um die Theke scharten. Alles Leute, die auf jeden Fall keine Kirchgänger waren. Thurkettle nickte mit dem Kopf im Takt der Musik. Mit seiner Fliege, dein sauber gestutzten Bart und im auffällig amerikanisch geschnittenen Anzug sah er aus wie ein Tourist. Aber Thurkettle war hier, um im Auftrag der Londoner Zentrale einen Mord zu begehen. Er fragte sich, wieviel man Werner davon gesagt hatte.
    Werners Aufgabe war es, ihm Fotos der in seinen Auftrag verwickelten Personen zu zeigen und ihm, falls erforderlich, Hilfe und Unterstützung anzubieten. Nach Erledigung des Auftrags sollte Werner ihn in den frühen Morgenstunden auf der Autobahn treffen und ihm sein Honorar bar auszahlen.
    »Haben Sie für ein Fahrzeug gesorgt?« fragte Werner.
    »Ein Motorrad. Schnell und angenehm unauffällig für einen Streich dieser Art.«
    Werner sah aus dem Fenster. Die Leute auf der Straße beugten sich unter glänzenden Regenschirmen. »Sie werden naß werden«, sagte Werner. »Es soll Gewitter geben, sagt die Wettervorhersage.«
    »Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen«, sagte Thurkettle. »Diese Kiste auf der Autobahn ist für mich reine Routine. Regen ist das geringste meiner Probleme.« Die Entscheidung war in letzter Minute gefallen, und so hatten die Vorbereitungen sehr eilig getroffen werden müssen. Eine Botschaft von Erich Stinnes hatte die Ankunft einer Ladung Heroin auf dem Ost-Berliner Flughafen gemeldet. In der kommenden Nacht würde er sie rüberbringen. Daraufhin hatte Thurkettle nach London gefunkt, daß Fiona Samson in dieser

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    Nacht aus Ost-Berlin herausgebracht werden könnte. Werner hatte bestätigt, daß Fiona bereit sei.
    »Das sind die Leute, die Sie bei dem Treffen sehen werden.« Werner zog Fotos aus der Tasche und reichte sie über den Tisch. Was im einzelnen passieren sollte, wer umgebracht werden sollte und warum, hatte man Werner nicht gesagt.
    Seine Anwesenheit bei dem Treffen war nicht erforderlich. Ihm war das ganz recht, denn gerade an diesem Abend sollte das große Fest bei Tante Lisl steigen. Ein Kostümfest mit allem Drum und Dran. Ziemlich jeder, den er in West-Berlin kannte, würde da sein. Verdorben war ihm der Abend natürlich trotzdem. Er würde sich den ganzen Abend Sorgen machen über Fionas Flucht.
    Thurkettle tat so, als studierte er die ihm vorgelegten Paßbilder, aber er war allen diesen Leuten schon irgendwann mal begegnet. Thurkettle bereitete sich auf jeden Auftrag sorgfältig vor, deshalb wurde er so hoch bezahlt, und deshalb war er so
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