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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Autoren: Kristin Ganzwohl
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Die Wanderhure las. Hinter ihr konnte man eine große Küche mit einem alten, bauchigen Holzherd erkennen. Sie hob den Kopf und blickte mich an, ohne zu lächeln.
    An diesen Traum muss ich jetzt denken, hier auf der Autobahn auf der Höhe von Göttingen und damit noch endlos weit von unserem Ziel Hiddensee entfernt. Ich werfe einen Blick zu Claus auf dem Fahrersitz. Er massiert mit der rechten Hand seinen Nacken und verzieht das Gesicht. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich ihm nicht anbiete, ihn beim Fahren abzulösen, aber ich traue mich nicht, denn es liegt Schnee. In den Verkehrsnachrichten jagt eine Glätte- und Unfallmeldung die nächste, und ich bin eine typische Schönwetterfahrerin. Ich überlege, wie lange wir schon schweigen – etwa seit Kassel. Ich blicke noch mal zu ihm und lege meine Hand auf seinen Oberschenkel.
    »Lass mal«, sagt er, »ich muss mich konzentrieren.«
    »Ich hatte nicht vor, dich unsittlich zu berühren«, sage ich und versuche ein Lachen.
    Claus lacht nicht, sondern blickt starr geradeaus durch die Windschutzscheibe.
    Ich dagegen gucke aus dem Seitenfenster auf eine Schneelandschaft vor grauem Himmel und summe Back to Black von Amy Winehouse mit, das gerade im Autoradio läuft – mehr aus Verlegenheit als aus Begeisterung für diesen Song.
    Warum sagt er nichts?, frage ich mich. Warum reagiert er so halbherzig auf meine Gesprächsversuche? Warum meidet er jede Berührung? Wo ist der charmante Witzbold geblieben, der kaum die Finger von mir lassen kann? Was ist eigentlich los?
    Und dann stelle ich die dümmste aller Fragen, die – wie ich selbst immer verkündet habe – eine verbotene Frage in Beziehungen ist. In einer Liga mit Was denkst du gerade?
    Ich frage also mit dünner Stimme diese dümmste aller Fragen: »Ist irgendwas?«
    Diese Frage ist deshalb so doof, weil hinter Ist irgendwas? eine ganz andere Frage steckt, meist sogar ein ganzer Fragenkatalog, wie zum Beispiel:
    Bist du sauer?; Denkst du an eine andere?; Hast du keine Lust auf diesen Urlaub?; Fühlst du dich mit mir unwohl?; Was verbirgst du vor mir?; Hast du etwa festgestellt, dass du doch nicht so verliebt bist, wie du dachtest?; Ja, glaubst du denn, mir macht diese Fahrerei Spaß? ; Gehe ich dir jetzt schon auf die Nerven?; Was empfindest du für mich? und so weiter und so fort. Man kann sicher sein, dass man mit der Antwort auf Ist irgendwas? nie zufrieden sein wird, im Gegenteil.
    Das ist der Normalfall. Bei mir steckte hinter Ist irgendwas? jedoch noch unendlich viel mehr. Denn ich sitze gerade mit einem verurteilten Mörder im Auto. Wir fahren an die Ostsee, auf die Insel Hiddensee – wenn man aus dem Süden Deutschlands stammt, sagt einem das möglicherweise so wenig wie mir, bevor ich im Internet nach einem romantischen Ort für einen Weihnachtskurzurlaub suchte. Hiddensee ist laut der Beschreibungen, die ich dort fand, eine »vollkommen autofreie Insel, die den Besucher zu jeder Jahreszeit mit einer wildromantischen Landschaft inspiriert und bezaubert. Sie beherbergt eine der wenigen noch erhalten gebliebenen Naturlandschaf ten Mitteleuropas.« Autofrei, abgelegen, einsam und wahrscheinlich deutschlandweit die einzige Gegend, in der man praktisch keinen Handyempfang hat. »Bei uns wirklich null Komma null«, wie unser Ferienhausvermieter auf seiner Homepage warnte. Bei der Buchung fand ich gerade das besonders reizvoll: ein einsames Hexenhäuschen am Waldrand, in Gehnähe zum weißen Sandstrand mit wilder Brandung, ohne Telefon, Computer und Handyempfang. Ein Ort zum Abschalten, eine Oase der Ruhe, wo Claus und ich ganz für uns sind, Zeit für lange Gespräche und unser »Spezialproblem« haben, wie ich es inzwischen für mich nenne.
    Das war mir natürlich auch klar, als Hannah mich gebeten hatte, sie so oft wie möglich anzurufen, aber da war mir das noch nicht so wichtig erschienen. Irgendwo im mecklenburg-vorpommerischen Funkloch würde ich schon mal ein Eck mit Empfang finden, hatte ich mir gedacht. Jetzt flattert mein Herz bei dem Gedanken daran, dass ich niemanden anrufen kann, wenn ich will. Niemanden zu Hilfe rufen.
    Die BILD wird titeln: Erst im Urlaub zeigte er sein wahres Gesicht, schießt es mir durch den Kopf. Darunter ein schlechtes Foto von mir, mit einem schwarzen Balken vor den Augen. Bildunterschrift: Das Opfer: Kristin G. (41), Redakteurin bei einem bekannten deutschen Frauenmagazin. Ihren Glauben an die große Liebe hat sie mit dem Leben bezahlt. Ich schüttle mich. O Gott, o
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