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Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Titel: Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen
Autoren: Wolfgang Wissen
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den Zuschauern auf der anderen Seite der Luegallee, denen das blattgoldveredelte Würstchen im Hals stecken geblieben wäre.
    Jedoch, niemand rastete aus. Manfred meinte nur lapidar:
    „Schon praktisch, wenn man einen Auszubildenden hat. Kann man so viel Scheiße bauen wie man will – kost‘ nix!“ und lachte sich einen Ast.
    Und Herr Adam holte erst mal zwei Flaschen Bier , die sich die zwei Männer dann gemütlich tranken … während ich nicht nur wie ein Häufchen, nein, wie ein ganzer Gebirgszug Elend in der Ecke saß.
    Was hieß denn das: Kost nix? Ich hatte da soeben meinen ersten Kassensturz versemmelt, irgendwo auf diesem Planeten hatte jetzt jemand mehr als ein Monatsgehalt meines Vaters in der Tasche – Geld, das diesem Typ oder dieser Typin (sagt man das?!) nicht gehört. Und meine Chefs störte es nicht! Ich dachte immer, wer zu wenig in der Kasse hat, der muss das bezahlen. So hatte mir das meine Cousine Renate erzählt. Und die musste es schließlich wissen, denn die hatte Abitur. Und arbeitete bei einer Bank, also keiner von denen, die heute notleidend sind – sie war bei der Stadtsparkasse. Eine gewisse Bodenständigkeit war in unserer Großfamilie eben Tradition.
    Renate also war der Meinung: Wer das Minus bestellt, der muss es auch zahlen. Aber bei der Post schien das anders zu sein – ich konnte also zukünftig ganz beruhigt durchs Schalterdasein gehen , ich musste nur immer dafür sorgen, dass man zu zweit in einer Box ist: entweder als Azubi oder später dann halt mit Azubi. Hach, das Postlerleben schien ganz easy zu sein! Und Cousinchen geht zur Sparkasse – was war die blöd!
    Manfred sollte mich einige Wochen als Azubi haben. Und da jede Woche mindestens ein Kassenabsch luss gemacht werden musste, kam bei meinem Talent beziehungsweise unserer formidablen Teamarbeit ein erkleckliches Sümmchen zusammen, das in der Bilanz der Deutschen Bundespost als Negativposten aufgeführt werde musste – die Kasse stimmte nicht eine einzige Woche!
    Das bedeutete sehr viel Bier für Manfred und Herrn Adam…
    Aber irgendwann wurden das Erfolgsduo Manni und Wolle getrennt. Es wurde schlicht zu teuer. Rückblickend kann ich es verstehen – damals aber war es ein Schock, denn von nun an durfte ich meine zwei Quadratmeter Schalter nicht mehr mit meiner heimlichen Liebe Manfred, sondern musste sie mit Frau Rowald teilen…
    Wenn ich nicht gewusst h ätte, dass sie verheiratet ist – weil ihr Mann auch im selben Postamt arbeitete und sie mehrmals täglich umarmen kam – dann hätte ich unter dem Schaltertresen nach Spinnweben geguckt, die unter ihrem Rock hervor lugen mussten. Denn so wie sie aussah mit ihrem verhärmten Gesicht, dieser Hornbrille, diesem nicht vorhandenen Lächeln auf den eigentlich ebenso nicht vorhandenen, weil nach innen gekniffenen Lippen, musste sie eine eiserne Jungfrau sein. Und so wie man ihre Lippen im Gesicht nie sehen konnte, dürfte eigentlich auch noch kein Mann selbige an anderer Stelle gesehen haben… Aber lassen wir das.
    Ich wollte ihren Mann aber auch nicht zu solchen Details befragen, mein Ruf war wegen der suboptimalen Abschlussergebnisse eh schon derangiert.
    Jedenfalls: Fernab von Kassenminderbeträgen, knackigen Ausbildern und frigiden Kolleginnen lernte ich auch die wesentlichen Dinge, die die Post so zu bieten hatte. Wie da waren: Briefmarken – insbesondere die Sonderbriefmarken.
    Einmal im Monat, wenn ich mich recht erinnere, war es immer am ersten Donnerstag eines Monats, hielt das Grauen Einzug in die damals noch rund 5000 Postämter der Republik. Denn dann war Erstausgabetag …
    Man könnte auch sagen: Die Freaks hatten Ausgang. Mag sein, ich trete jetzt einigen unter den Lesern ganz schön auf die Füße. Aber da ich vermute, dass Briefmarkensammler eine aussterbende Gattung sind, hoffe ich mal, dass sich nicht allzu viele angesprochen fühle, wenn ich schreibe: Wer bitte hat DIE erfunden?! Und damit meine ich nicht die Marken…
    Nicht nur, dass diese Leute mit ihren Stempelwünschen dafür verantwortlich sind, dass noch heute, 19 Jahre nach Ende meiner Postzeit, ein Überbein mein rechtes Handgelenk „ziert“, weil ich an jenen Donnerstagen und an den meisten anderen Tagen auch zigtausendfach dieselbe Abrollbewegung mit diesem dämlichen Tagesstempel machen musste, damit die einen sauberen Abdruck auf ihren bunten Bildchen hatten, die sie dann mit Pinzette in ihre Alben steckten, um dann mit feuchten Schlüppern die Schalterhalle zu verlassen –
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